Mit einem modernen Risikomanagement hin zur zeitnahen Betriebsprüfung?

Am 12. Mai 2021 hat die Bundesregierung mit der BT-Drs. 19/29616 die kleine Anfrage der FDP-Fraktion (BT-Drs. 19/29053) beantwortet. Hauptthema der Anfrage der FDP-Fraktion war die Fallauswahl in steuerlichen Außenprüfungen. Ein Verfahren zur Fallauswahl, welches auch Gegenstand der Antwort der Bundesregierung war, ist die über ein Risikomanagementsystem ausgesteuerte Betriebsprüfung (RMS-Bp). Das RMS-Bp-Verfahren ermöglicht anhand von Kennzahlen und theoriebasierter Algorithmen die Identifizierung von Anomalien in den vom Steuerpflichtigen übermittelten Daten. Faktisch gesehen erfolgt eine automationsgestützte Fallauswahl für die nähere Überprüfung durch eine steuerliche Außenprüfung (Betriebsprüfung).

Schmidt beschreibt die RMS-Bp ähnlich als regelbasiertes Scoring-System, welches sich theoriegeleiteten Algorithmen bedient (s. Schmidt, RET 2020, 48; siehe auch Vorbemerkung der BT-Drs. 19/29616, S. 1, sowie BT-Drs. 19/29053, S. 1).

Funktion des RMS-BP

Ebenso wurden seitens der Regierung inhaltliche Erläuterungen zum RMS der Gegenwart transparent gemacht: „Nach Kenntnis der Bundesregierung finden dabei die Daten der E-Bilanzen für das RMS-BP Verwendung. Risikoeinstufung und Auswahl der automatischen Jahresabschlussanalyse erfolgen zunehmend automationsunterstützt; sie werden stetig evaluiert und verbessert. In die Entwicklung der zugrundeliegenden Algorithmen fließen nach Kenntnis der Bundesregierung auch vorhandene Erfahrungswerte ein.“ (BT-Drs. 19/29616, S. 6).

Bundesregierung arbeitet an Konzept zur zeitnahen Betriebsprüfung

Ein Aspekt der Antwort der Bundesregierung könnte für die Betriebsprüfungspraxis eine Veränderung bedeuten. Denn aktuell wird seitens der Bundesregierung konzeptionell ausgearbeitet, wie die RMS-Bp für eine zeitnahe Betriebsprüfung genutzt werden kann (s. Antwort zu Frage 23, BT-Drs. 19/29616). In diese Richtung geht schon der Vorschlag von Schmidt (RET 2020, 48), der dem RMS-Bp-Verfahren das Potenzial zuschreibt, das bisherige Clusterverfahren zu Auswahl von Betrieben für Betriebsprüfungen zu ergänzen (s. dazu Danielmeyer, RET 2021, 39).

Zielbild: RMS-BP i.S.e. Echtzeitanalyse zur Verringerung des Zeitabstands zw. Prüfungszeitraum und Prüfung

Die Idee, die gesammelten Daten automationsgestützt zu verarbeiten, und anhand dessen die Betriebsprüfungsfälle zeitnah zu identifizieren und durchzuführen, stellt aus Sicht der Finanzverwaltung ein durchaus legitimes Ziel dar. 

Die Kunst wäre es doch, sämtliche Daten auf einen Haufen zu schütten und mittels intelligenter Data-Warehouse-Funktionen ein Gerüst zu bilden, auf welches Algorithmen oder Bots Zugriff haben.  Mögliches Ziel wäre die Profilerstellung eines jeden Steuerpflichtigen. Hiermit ist natürlich kein diskriminierendes Profiling oder Scoring gemeint. Auch sollen Branchen oder Unternehmen nicht unter Pauschalverdacht gesetzt werden. Dies liegt der Bundesregierung fern (s.a. Datenstrategie der Bundesregierung, Stand 27.Januar 2021, S. 38). Würde man die oben genannten Datenlieferungen sogar noch zeitlich in eine Art Echtzeitübertragung bringen, könnten die Risikoparameter noch effektiver angesetzt werden. 

Problem: Datengrundlage aus Steuererklärung und E-Bilanzen, d.h. unzureichende Datenbasis als Hemmnis für die Effektivität einer RMS-Bp 

Sowohl die Bundessteuerberaterkammer als auch die Bundesregierung beschäftigen sich ausführlich mit dem Thema der zeitnahen Betriebsprüfung. Dabei spielen neben der Änderung gesetzlicher Fristen auch die Transparenz und Erläuterung von digitalen Prüfungsmethoden eine Rolle. Der Aspekt der digitalen Umsetzbarkeit von Gesetzesänderungen (s. Blogbeitrag v. 25.02.2021) oder aber auch der zeitlichen Verifikation von steuerlich relevanten Daten wird m.E. kaum Bedeutung zugemessen. 

Die oben zitierte Stelle der Antwort der Bundesregierung lässt durchblicken, wo das Problem liegt. Augenscheinlich bedient sich die RMS-Bp den Daten, die von den Steuerpflichtigen im Rahmen ihrer Deklarationspflichten an Steuer- oder E-Bilanzdaten übermittelt werden. Jedoch dürfte die Effektivität eines RMS-Bp-Verfahren davon abhängen, dass jedes Einsatzgebiet eine spezifizierte Datengrundlage erfordert. 

Der Beitrag versucht eine Sensibilisierung auf der Schiene der notwendigen (Steuer-)Systemumstellungen zu erzielen, um eine zeitnahe BP für ca. 8,2 Mio. Betriebe realisieren zu können. Denn die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen sowie technischen und methodischen Grundbedingungen für zeitnahe Betriebsprüfung entfaltet keinen Nutzen, wenn zeitnahe Betriebsprüfungen mangels Personal und/oder IT-Ausstattung bei den beteiligten Stakeholdern nicht vollzogen werden können.

Was macht Österreich?

In Österreich wird bereits eine zeitnahe Betriebsprüfung gelebt. Blickt man in Bezug auf die Auswahl der Prüffälle auf das Nachbarland Österreich, so stellt man fest, dass dort eine jährlich automatisierte Fallzuweisung nach folgenden Parametern erfolgt (Schmidt, BB 2021, 1047):

  • Zeitebene
  • Gruppenauswahl
  • Einzelauswahl
  • Risikoauswahl

Durch die Zeitebene werden Fälle berücksichtigt, die am längsten nicht geprüft wurden. Einzel-, Gruppen oder Risikoauswahlen ziehen mathematische, möglicherweise spontan aufkommende Risikobranchen- oder Felder, wie bspw. in Deutschland die zutreffende Auszahlung der Corona-Hilfen durch das FA Kassel II (Danielmeyer, RET 2021, 39 [45]) oder die Beauftragung durch Oberbehörden nach sich. 

Ausblick funktionales RMS-Bp – Lösungsansätze für Deutschland

Eine offensichtlich zentrale Datenhaltung der Steuerfälle wie in Österreich scheidet vermutlich aus Gründen der Komplexität und der Vielzahl von Steuerpflichtgen, dem Steuergeheimnis und der Datenschutzgrundverordnung aus. Hier müsste jedes Finanzamt eine Datenanalyse nach Zeiträumen und anderen (unbekannten) Parametern vornehmen. Selbst wenn diese Komplexität händelbar wäre, würde es m.E. schwierig, die so herausgefilterten Betriebe zeitnah und gleichmäßig zu prüfen. 

Erstens gibt es bei allen beteiligten Stakeholdern keine personellen Kapazitäten und zweitens käme von vielen Unternehmen ein großer Aufschrei, wenn aufgedeckt wird, dass die Daten für die digitale Betriebsprüfung irgendwo verloren gegangen sind, weil diese nicht sorgsam, etwa mit einer Data-Governance-Strategie (Liekenbrock/Danielmeyer, RET 2021, 32) nachgehalten wurden. 

Folglich muss sich im Bereich des Verifikationsprozesses der steuerlich relevanten Daten etwas tun. Hierzu gehören:

  • alle steuerlich relevanten Daten genau zu definieren (kritisch s. Blogbeitrag v. 28.05.2021 ), 
  • die Einzelaufzeichnungspflicht des § 146 AO auf diese Daten zu erweitern,
  • Datenexporte und Zugriffe genau zu definieren und zu vereinheitlichen,
  • die Verifikation dieser Daten durch Blockchain-Technologie,
  • und/ oder im Zeitpunkt der Entstehung in Echtzeit der Verifikationsbehörde zu übermitteln. 

Auf den letzten Punkt wird im Folgenden beispielhaft eingegangen.

Near-Realtime-Reporting 

Dass dies funktioniert, beschreibt Kollmann in seiner Ausarbeitung zum steuerlichen Massendaten-Reporting (RET 2021, 51 [52]). So werden bspw. in Ungarn und Spanien am Tagesende (Ungarn) bzw. innerhalb von vier Tagen (Spanien) Ausgansrechnungen in einem gesetzlich vorgegebenen Datenformat an eine nationale Behördenplattform übermittelt. Die Eingangsrechnungen sind zum Monatsende zu übermitteln. Macht man sich dieses (Near-) Realtime Reporting zunutze, könnte man bei gewissen Branchen automatisierte Zeitreihen in Abhängigkeit von Einkauf und Verkauf laufen lassen. Gibt es dann auf der Zeitschiene abweichende oder auffällige unauffällige Ergebnisse, könnten diese sehr zeitnah zu einer Außenprüfung führen. Mittels Künstlicher Intelligenz ließen sich sogar noch voraussichtliche Prognosen einbauen. 

Fertig ist das RMS für handelnde Unternehmen.

Realtime-Reporting 

Neben dem Reporting von Rechnungen ist auch der Bereich der bargeldintensiven Branchen optimierungsfähig. Zwar gibt es seit 2020 die zögerliche Aufrüstung von elektronischen Aufzeichnungssystemen mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung mit dem Ziel die Steuerhinterziehung in diesen Branchen zu minimieren. Doch mal ganz ehrlich. Die Praxis ermöglicht weitere Manipulationsmöglichkeiten. Die Idee zur Absicherung der erfassten Geschäftsvorfälle oder anderen Vorgänge ist zwar gut, denn es wird Blockchain-Technologie verwendet. Aber bereits das Wort „erfassen“ bedarf einer begrifflichen Betrachtungsweise. Die Beobachtungen, gerade in der Pandemiezeit zeigen, dass das Kassensystem häufig nicht verwendet wird, um die Einnahmen zu erfassen, sondern das Geld in einer offenen Ladenkasse landet. Ob diese Einnahmen dann der Besteuerung zugeführt werden?

Rebant (RET 2021, 61) benennt -nicht abschließend- organisatorische und technische Manipulationstechniken und sieht ebenso wie Kollmann (s.o.) die Lösung in der Echtzeitübermittlung der Kassendaten (Einzeldaten) oder einem direkten Online-Zugriff auf die TSE bzw. DSFinV-K, um zeitnah die Daten -idealerweise- verifizieren zu können. Werden dabei Anomalien wie etwa Lücken in den Verkaufsvorgängen, offen stehende Ladenkassen, oder Umsatzsprünge aufgetan, könnte auch hier die Kassen-Nachschau oder Außenprüfung zeitnah durchgeführt werden. 

Fertig ist das RMS für den bargeldintensiven Bereich.

Fazit

Das RMS-Bp ist ein sinnvolles Instrument, welches in Kombination mit modernen Prüfungsansätzen zu zeitnahen Betriebsprüfungen führen kann. Die bisher geheim gehaltenen Risikoparameter müssen auch geheim bleiben, da ansonsten der Steuergestaltung an diese Parameter heran keine Grenzen gesetzt sind. Jedoch bedarf es für ein effektives RMS-Bp mit Blick auf eine zeitnahe Bp einiger Modifikationen.

Moderne und zukunftsorientierte Methoden oder Techniken wie Blockchain oder Realtime-Reporting müssen her, um eine Vielzahl an Massendaten von Steuerpflichtigen in Echtzeit und idealerweise vollautomatisiert verifizieren zu können. Nur dann ist eine Verringerung des Zeitabstands zw. Prüfungszeitraum und Prüfung möglich. Die gute alte Weisheit: „Das haben wir schon immer so gemacht“, darf an dieser Stelle nicht gelten. Alle Beteiligten Stakeholder sollten hier zusammen kooperieren, um eine digitale Steuerwelt zu vollziehen, die für alle Beteiligten zu einer Win-Win-Situation führt. 

Dazu ausführlich in Danielmeyer, StBp (ESV-Verlag), im Erscheinen.