Einleitung
Big Data- Ein Nutzen für die Menschheit oder ein Fluch der über uns liegt?
In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich über die Datenevaluation durch den Staat und die Forderung des wissenschaftlichen Beirates beim BMF zu technisch- funktionalen Gesetzen geschrieben.
Zeitgleich – ohne Absprache – veröffentlichen Luther/Gothmann in der beck.digitax 1/2021 (S. 54) und Schmidt in der Rethinking Tax 1.2021 (S.51) die Forderung nach automationsfreundlichen Gesetzen als Voraussetzung des digitalen Steuervollzugs. Während Schmidt sich um Vereinfachungen des materiellen Rechts durch Verzicht von Einzelabrechnungen, Schaffung von Pauschalabzügen und Prüfung bestehender und künftiger Gesetze auf ihre Digitaltauglichkeit fokussiert, beschreiben Luther/Gothmann diese Digitaltauglichkeit in Bezug auf Datenverarbeitungssysteme und den Entstehungsprozess.
Kernproblem „historisch gewachsene Steuergesetze“
Luther/Gothmann sprechen dazu das Kernproblem an, welches heutzutage viel zu häufig auftritt. Stellvertretend für geltende Gesetze wird das Umsatzsteuerrecht als antiquiert und vielfach auf dem Stand des Jahres 1993 basierend (wir erinnern uns: zum 01.07.1993 wurde die fünftstellige Postleitzahl eingeführt und am 01.09.1993 die Europäische Union gegründet. Letzteres mit Auswirkungen auf das nationale und internationale Umsatzsteuerrecht) angewendet. Diese materiell-rechtlichen Vorgaben sind somit nicht unbedingt auf deren technologische Umsetzbarkeit abgestimmt.
(Internationale) Digitalisierung auf dem Vormarsch
Ein Treiber der Digitalisierung in den Geschäftsprozessen sind einerseits die kurzlebigen Phasen der Technologien sowie andererseits die ständige Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen. Insbesondere werden vermehrt Dienstleistungen oder Lieferungen auf digitalem Wege angeboten oder sogar erbracht (wer kauft sich heute noch Lebensmittel im Supermarkt oder am Marktstand? Das wird doch heute alles „klimaneutral“ per Spedition aus dem Ausland geliefert).
Dabei verschwinden auch Ländergrenzen. Das Milliardengeschäft E-Commerce findet heutzutage nicht mehr lokal innerhalb der Grenzen Deutschlands statt, sondern wird immer globaler angesiedelt. Billiglöhne, niedrige Steuern und Abgaben, günstige Lagerkapazitäten, oder auch schnelles Internet machen dies aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen notwendig. Denn der Kunde möchte am liebsten sofort auf Knopfdruck die Ware zum günstigsten Preis in Empfang nehmen.
All dies verursacht heutzutage als Nebenprodukt Daten.
Analoger Geschäftsvorfall
Abbildung:
Vereinfachte Darstellung: Wie ein Verkaufsvorgang (Geschäftsvorfall) in vielen Köpfen gesehen wird und früher stattfand. Aber auch korrespondierend dazu vielleicht, wie die historische analoge Betriebsprüfung vorgegangen ist. Lieferscheine und Inventurzettel wurden händisch auf Differenzen bei den Warenbeständen und der Tagesabschlussbon auf Unstimmigkeiten oder die zutreffende Versteuerung hin untersucht.
Geschäftsvorfall im E-Commerce
Die Bestellung erfolgt per Smartphone-App. Die Software informiert über Verfügbarkeit, Preis und voraussichtliches Lieferdatum.
Gleichzeitig wird digital ein Lager angesteuert. Ob dieses im In- oder Ausland steht, könnte ggf. Relevanz für die Umsatzbesteuerung (USt-Satz, UStfrei, Überschreitung von Lieferschwellen, …) haben. Die Rechnung wird erstellt, der Artikel verpackt und per Spedition auf den Weg gebracht.
Durch die vorgenannten Prozesse des Bestellvorgangs im E-Commerce werden Daten aufgezeichnet. Darunter sind steuerlich relevante, aber auch steuerlich nicht relevante Daten vertreten. Wer entscheidet nun, was steuerlich relevant ist? Und was wiederum wird GoBD-konform aufgezeichnet und steht einer möglichen Außenprüfung revisionssicher zur Verfügung? Und wie werden diese Daten geprüft? Daumenkino vs. digitalem roten Faden?! Und was passiert etwa bei einer Gesetzesänderung? Lassen sich diese, wie etwa der One Stop-Shop oder eine Änderung von Lieferschwellen einfach so in einem Datenverarbeitungssystem anklicken oder einpflegen? Nein, hier sind u.a. Software-Updates, Umprogrammierungen, und eine (einheitliche) digitale Schnittstelle erforderlich.
Gelebter Status Quo
Lt. Luther/Gothmann fallen zudem hohe Rechtsbefolgekosten in vielen Staaten an. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen seien hiervon betroffen. Diese müssen sich zwingend digitalisieren und internationalisieren, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Ständige Weiterentwicklungen von steuerrechtlichen Anforderungen machen es besonders digitalen Unternehmen schwer, rechtskonform zu wachsen und neue Märkte zu erschließen.
Erkenntnis
Die vorgenannten Geschäftsmodelle erfordern moderne Datenverarbeitungssysteme und funktionale Steuergesetze. Ebenso dürfen diese keine Hürden für den Marktzugang von Steuerpflichtigen darstellen.
Kritik an Gesetz und Verwaltung
Luther/Gothmann fordern, dass steuerliche und prozessuale Vorgaben des Gesetzgebers und der Finanzverwaltung immer deren EDV-technische Umsetzung in der Praxis im Blick behalten sollten. Ebenso fordern Sie effektives Vorgehen seitens der Finanzverwaltung. Betrugsbekämpfung sollte nicht nur immer höhere Anforderungen beinhalten, die auch Steuerehrliche zu erdulden haben. Eine zutreffendere Risikoanalyse- und Verfolgung muss erfolgen, um insbesondere auch internationale Steuerpflichtige prüf- und verfolgbar zu machen. Hierbei verwendete Software innerhalb der Behörde sollte funktional und attraktiv sein. Dem Bediensteten muss sich schnell erschließen, welchen Benefit eine Prüfsoftware mit sich bringt. Außerdem muss es kompatibel zu anderen Programmen sein.
Exkurs:
Negativbeispiel:
Den Gesundheitsämtern steht u.a. für die Nachverfolgung und das Handling rund um die Corona-Pandemie die Software Sormas zur Verfügung. Ziel war es, bis Ende Februar 2021 in jedem Gesundheitsamt diese Software zu nutzen. Lt. Bericht der Welt am Sonntag vom 21.02.2021 nutzen drei von vier Gesundheitsämtern die Software nicht. Begründung: keine Schnittstelle zu bestehenden internen Softwarelösungen, Arbeitsüberlastung beim Bestandspersonal, … .
Was könnte noch helfen?
(Auszug aus: Wäschenbach, „Sie vertrauen ihren Behörden“, WirtschaftsWoche 8 v. 19.02.2021) Der Blick ins Nachbarland Dänemark zeigt uns, wie sich Digitalisierung und persönliche Datenerzeugung und -nachhaltung in den Alltag integrieren lassen. In Dänemark wurde in den 60er Jahre ein digitales Personenregister geschaffen. Darin ist jeder Einwohner mit einer Nummer registriert, die er ein Leben lang behält. Männer erhalten ab Geburt eine ungerade und Frauen eine gerade Endziffer. In Kombination mit App, Smartphone und PIN können bspw. Kaufverträge für Wohnungen, Konten eröffnet oder Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen werden.
Seit 2014 wird über diese Kommunikationsplattform sämtliche Behördenpost erledigt incl. Datenaustausch. Dies ist kein Muss. Aber neun von zehn Dänen nutzen diese Art der Kommunikation.
Daraus lässt sich eine Akzeptanz für diese digitalen Prozesse ableiten. Die Besonderheit an dieser Akzeptanz? Behörden und Unternehmen haben zusammen gearbeitet und so für Funktionalität und Akzeptanz gesorgt. Natürlich hat Dänemark weniger Einwohner als Deutschland, aber vielleicht lässt sich dieser Gedanke nach Deutschland importieren?
Daten, das Gold des digitalen Zeitalters
Diese agile Digitalisierung führt zu Datensammlungen en masse. Was geschieht mit diesen Daten? Wie nutzt der Staat diese Daten weiter oder wo werden diese abgelegt? Hier wiederum könnte mit einer datenrechtskonformen Idee, wie etwa der anonymisierte Nutzen für die Wissenschaft herangezogen werden. Siehe auch Blogbeitrag vom 15.02.2021.
Fazit
Wie der Beitrag zeigt, finden sich Lösungswege, wenn man über seinen eigenen Tellerrand hinausschaut. Einfach alles so machen, wie man es immer gemacht hat, scheint nicht der effektive Weg zu sein. Akzeptanz für Datenaustausch oder -recycling besteht, zumindest im Ausland oder im Inland, wenn damit Geld verdient werden kann.
Hilfreich ist, im Vorfeld einer Gesetzesänderung nicht nur die Kosten zu sehen, sondern auch die technische Funktionalität und digitalen Möglichkeiten im Auge zu haben und so endlich auch gegen Manipulationen effektiv vorzugehen.
Diese finden nicht nur im Bargeldbereich, sondern auch mit digitalem Geld statt.
Dass bald wieder Handlungsbedarf besteht, zeigt uns die Presse vom Wochenende:
Der Bundesfinanzhof will über Steuerhinterziehung in bargeldintensiven Betrieben bald eine Entscheidung „von besonderer Bedeutung“ treffen. Es geht um viele Milliarden Euro – und die Bonpflicht.
In der WirtschaftsWoche vom 20.02.2021 schreibt Ramthum, dass je nach Urteil die Bundesregierung dazu gezwungen werden könnte, gegen den milliardenschweren alltäglichen Steuerbetrug durch nichtregistrierte Umsätze konsequent vorzugehen. Dabei dürfte es nicht reichen, dass die Finanzverwaltung die vom Gesetzgeber bereits beschlossene Bonpflicht samt manipulationssicheren Registrierkassen endlich durchsetzt.
Diesen Handlungsbedarf, bestätigt auch Eigenthaler (Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft) „Alle Welt fordert die Digitalisierung, aber bei der Ladenkasse ist das offenbar unzumutbar“, wundert sich Eigenthaler.
Der Gewerkschaftschef hofft, dass der Bundesfinanzhof ein „strukturelles Vollzugsdefizit“ bei bargeldintensiven Geschäften sieht, folglich verfassungsrechtliche Bedenken äußert und den Fall an das Bundesverfassungsgericht verweist. Sollte dann Karlsruhe einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz feststellen, müsste die Politik letztlich handeln.
Dafür gilt es dann technisch-funktionale, akzeptierte Gesetze auf den Markt zu bringen.
Vielleicht kommt dann doch eines Tages eine elektronische Kassenpflicht in der die eingegebenen Daten kryptographisch abgesichert und in Echtzeit an die Finanzverwaltung übertragen werden. Denn nur so kann der häufigsten Manipulationsart -die „Nichteingabe“- wirksam entgegen gewirkt werden. Die technischen Voraussetzungen für die Erfassung und den Export von Geschäftsvorfällen und sonstigen Vorgängen sind im Bereich der elektronischen Aufzeichnungssysteme durch die DSFinV-K bereits geregelt. Sie müssen nur vollumfänglich umgesetzt werden.
Lösungsansatz:
Programmiert man einen Algorithmus, der anschlägt, wenn in einem gewissen Zeitfenster der gemeldeten Öffnungszeiten keine Kassenbewegungen stattfinden oder ein Umsatz eines gewissen Tages ohne erkennbaren Grund erheblich von denen der bisher erklärten Daten zu dem speziellen Tag im Durchschnitt abweicht, kann die Kassen-Nachschau per Algorithmus salonfähig werden.
Für Datenverarbeitungssysteme, die bspw. Geschäftsvorfälle im unbaren Bereich im E-Commerce aufzeichnen, müssen ebenso funktionale Regeln für einen einheitlichen Datenstandard geschaffen werden. Hierzu hat mein Bloggerkollege Gustav Liedgens bereits in seinem Blogbeitrag vom 05.10.2020 berichtet. Auch hier wäre ein Risikomanagementsystem denkbar. Ein Algorithmus, der unter gewissen Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt der Deklaration beim Finanzamt oder BZSt anschlägt (Zum Risikomanagement, § 88 Abs. 5 AO, s.a. Schmidt, Können Algorithmen subsumieren?, Rethinking Tax 6.2020, S. 17).
Wie schätzt die Beraterschaft die Potenziale der zunehmenden Digitalisierung ein?
Um nicht ausschließlich die Sichtweise der Finanzverwaltung darzustellen, habe ich meinen Bloggerkollegen Gustav Liedgens gefragt, wie er als Steuerberater die zunehmenden Potenziale von Daten und der Digitalisierung einschätzt. Nach seiner Auffassung steigen die Bedeutung und die Potenziale von Daten mit der zunehmenden Digitalisierung, insbes. im Steuerrecht. In einem ersten Schritt müssen Daten, die für die Besteuerung eine Relevanz entfalten, definiert werden. Des Weiteren sollte die Nutzung solcher steuerrelevanter Daten gegenüber dem Steuerpflichtigen mit einem gewissen Maß an Transparenz erfolgen. Dies schafft ggfs. an manchen Stellen Vertrauen. Die Digitalisierung macht auch im Steuerrecht nicht halt. Der zunehmende Einsatz von Technologielösungen im Steuervollzug bzw. in der Steuerverwaltung macht es notwendig bei der Ausgestaltung der Steuergesetze die technische Umsetzbarkeit in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus ist es grundsätzlich wünschenswert wenn Steuergesetze logisch und nachvollziehbar ausgestaltet sind, was – wie Schmidt ausführt – Voraussetzungen für die Digitalisierung des Rechts darstellt.