Datenevaluation durch den Staat- der Weg für eine künftig digital-funktionale Gesetzgebung?

Datenevaluation

Allgemeines

Die ständigen Änderungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verordnungen und sonstigen Anweisungen versuchen den Alltag zu regeln und in Bezug auf die Steuerwelt das Steueraufkommen zu sichern und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herzustellen. 

Pandemiebedingte Erleichterungen 

Gerade aktuell durch die Corona-Pandemie wurden kurzfristige bzw. zusätzliche Erleichterungen oder Gesetzesänderungen verabschiedet. Dies sind beispielsweise:

  • die Verlängerung der Abgabefrist der Jahressteuererklärung 2019 bis weit in das Jahr 2021 (etwa um Steuerberatung und Bürgern Zeit für pandemiebedingte dringliche Stundungs- oder Förderantrage zu verschaffen),
  • die kurzfristige Senkung der Mehrwertsteuersätze bis zum 31.12.2022, 
  • die telefonische Krankschreibung 
  • oder die Stundung von Sozialversicherungsabgaben. 

Diese Anpassungen wirken sich häufig auf bereits bestehende IT-Landschaften aus. 

Kernproblem

Steuererleichterungen, Abbau von Bürokratie, kurzfristige Änderung von Mehrwertsteuersätzen oder aber auch der Austritt von Staaten aus der EU benötigen zum einen die Akzeptanz in Bezug auf die Veränderung, zum anderen bei der Anwendung und Umsetzung  in bestehenden IT-Landschaften neben einer gewissen Taxonomie die (Um-)Programmierung nebst Beschreibungen der Datenströme und Funktionen, Qualitätschecks und die Einweisung und Schulung von Personal, um eine zutreffende Eingabe im Datenverarbeitungssystem zu gewährleisten. Denn Datenerzeugung und -speicherung erfolgen nicht in einem besonderem Bereich wie etwa einem digitalen Schuhkarton (wie in der analogen Welt die Papierablage im berühmten Schuhkarton), sondern in mehreren Bereichen, Tabellen oder Ordnern in Datenbanken, auf Servern oder ähnlichem. Oft ist neben der Software auch noch eine Anschaffung von neuer Hardware erforderlich (Stichwort: Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen). 

Erleichterungen und deren Umsetzung 

Um die vorgenannten Erleichterungen logistisch nachhalten zu können, sind sowohl in der Wirtschaft als auch bei Privatpersonen und ebenso bei Behörden oder Versicherungen funktionale Datenverarbeitungssysteme einzusetzen, die die erzeugten Daten seriös nachhalten, dauerhaft speichern und über Schnittstellen in einem auswertbaren Format zur Verfügung stellen. Diese Systeme müssen nun plötzlich unvorhergesehene Prozesse umsetzen. Eine eingesetzte Kasse beispielsweise muss so innerhalb kurzer Zeit umprogrammiert werden (Beispiel zu einer Kassenprogrammierung, Achilles/Danielmeyer, Kassenführung im Spannungsfeld von TSE, Corona und Mehrwertsteuersenkung, Rethinking Tax 4.2020, S 22) und funktionieren.

Ein Bild, das Tisch enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Was fehlt in der digitalen Welt?

Eine Prüfung der IT-Funktionalität vor Verabschiedung von Gesetzesänderungen oder gar eine spätere Evaluation der Neuerungen erfolgt in Deutschland grds. nicht. Ebenso wird verwaltungsseitig die Wertziehung aus deklarierten Besteuerungsdaten eher stiefmütterlich behandelt. Klar, das Steuergeheimnis und die DSGVO verlangen einen seriösen Umgang mit den vorgenannten Daten, allerdings könnte sich aus der anonymisierten Datennutzung  wertvolle Erkenntnisse für eine zukunftsorientierte -den Bedürfnissen des Volkes angepasste- Gesetzgebung ergeben. Abgabenordnung und DSGVO lassen dies nämlich unter gewissen Voraussetzungen zu. 

Was kann die Wirtschaft?

Im Vergleich zur Wirtschaft, wo das „Datenrecycling“ bereits ein riesiger Markt ist und dort beispielsweise in Echtzeit Kundendaten ausgewertet werden, um mit künstlicher Intelligenz Wertschöpfungsprozesse zu optimieren und Gewinne zu steigern oder Kunden nachhaltig an sich zu binden (das Churn-Modell beugt Kundenabwanderung vor) oder durch Targeting gezielt Produktwerbung oder Stellengesuche platziert werden. Ein Blick auf den Marktwert der wertvollsten Unternehmen weltweit zeigt, dass unter den Top 10 fast ausschließlich Unternehmen gelistet werden, die stark datengetriebenen Branchen zuzuordnen sind.  

Lösungsansätze des wissenschaftlichen Beirats beim BMF

Problemfelder

Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen äußert sich in seinem Gutachten 5/2020 zu dem Themenkomplex Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verbesserung der Dateninfrastruktur für
die Steuerpolitik
 und nimmt insbesondere zum Status Quo der Datengrundlagen im Besteuerungsverfahren der Bundesrepublik Deutschland Stellung und gibt Handlungsempfehlungen, wie eine Datenrepublik Deutschland optimal aussehen könnte. Einen elementaren Wert sieht der wissenschaftliche Beirat in den durch die Statistik-Gesetze erhobenen Einzeldaten der Steuerpflichtigen, aber auch für sonstige erzeugte Daten (s.o.) sieht der Beirat einem enormen Wert. Auf Mikroebene liegen die Daten beim Steuerpflichtigen und könnten anonymisiert zur weiteren Analyse und Auswertung durch Staat und Wissenschaft nutzbar gemacht werden. Der Beirat zeigt vier aktuelle Problemfelder auf: 

1. Zeitnahe Datenverarbeitung: Die Steuerstatistik-Daten werden i. d. R. nur mit relativ großer Zeitverzögerung für wissenschaftliche Zwecke bereitgestellt. Die zeitnahen Analyse und Auswertung sollte zu einem Standard in Deutschland werden.

2. Einheitliche Datenschnittstellen: Eine Verknüpfung von Daten aus administrativen Informationen von Steuererklärungen mit anderen administrativen oder nicht administrativen Datenquellen ist nicht, bzw. nicht einfach möglich. Eine gemeinsame IT-Landschaft oder funktionierende Schnittstellen für die Daten-Weitergabe wären wünschenswert und sind in anderen Ländern Standards. 

3. Kooperation zwischen Verwaltung und Wissenschaft: Eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Steueradministration mit dem Ziel, administrative Prozesse von Steuerverwaltung und Steuerprüfung auf Effektivität, Kosten und die Belastungen für Steuerzahler hin zu untersuchen gibt es in Deutschland nicht. In anderen Ländern gibt es dieses Instrument der Kooperation. Dortige Erfahrungen zeigen, dass hierdurch wichtige Erkenntnisse zur Ausgestaltung von Instrumenten der Steuerdurchsetzung gewonnen werden können.

4. Abbau von Hürden zur Datenauswertung: Die Nutzung administrativer Steuerdaten ist in Deutschland immer noch mit erheblichen technischen Hürden verbunden. So ist die Grundgesamtheit der Daten beispielsweise nur per kontrollierter Datenfernverarbeitung für die Forschung nutzbar und nicht an Wissenschaftler-Arbeitsplätzen oder über „remote“-Zugänge zu sicheren Datenservern. Die Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten stellt hohe Anforderungen an die Datensicherheit – hierfür existieren jedoch Lösungsmöglichkeiten. Die in § 30 Abs. 4 Nr. 2b und 2c AO geschaffenen Ausnahmen vom Steuergeheimnis für Zwecke der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Statistischen Bundesamtes und zur Gesetzesfolgenabschätzung müssten auf die Nutzung für wissenschaftliche Forschungszwecke erweitert werden. Die DSGVO enthält bereits ein Forschungsprivileg, würde daher einer derartigen Öffnung nicht entgegenstehen. 

Maßnahmenpaket

Für eine durchgreifende und nachhaltige Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik schlägt der Beirat drei Maßnahmenpakete vor:

  1. Einrichtung eines eigenen Forschungsdatenzentrums für Steuern, das (anonymisierte) Einzeldaten auf Basis der Steuerstatistiken zur Verfügung stellt und das speziell für die besonderen Anforderungen der Steuerdaten ausgelegt ist. 
  2. Erweiterung des bestehenden Katalogs der Steuerstatistiken und die einzelnen Statistiken verbessert werden. 
  3. Schaffung bzw. Ausweitung von Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Statistiken. 

Das Gutachten gibt zu dem vorgenannten Maßnahmenpaket detaillierte Vorschläge  auf den Seiten 26 – 26 wieder.  Aus dem Blickwinkel des Data Governance stechen hier insbesondere heraus:

  • Die Nutzung der Einzeldaten (sicherlich nicht gemeint sind hier die Einzeldaten des § 146 Abs. 1 AO) auf verschiedenen Zugangswegen für wissenschaftliche Zwecke
  • Berücksichtigung von wissenschaftlichen Standards mit Blick auf Big Data und KI
  • Erweiterung der Steuerstatistiken um Grunderwerbsteuer, Grundsteuer und Kapitalertragsteuer, um den Betrug mit Steuererstattungen zu untersuchen
  • Analyse von E-Bilanz-Daten
  • Detaillierte geografische Auswertung, um regionale Besonderheiten sichtbar zu machen 
  • Erweiterung der Dateninfrastruktur um Daten aus Handels-, Melde- und Personenstandsregister
  • Erweiterung um das CbCR

Fazit

Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirates beim BMF analysiert den Status Quo im In- und Ausland und erkennt die Kernprobleme im Datensteuermeer Deutschland. Für Optimierungsprozesse wird ein möglicherweise funktionierendes Maßnahmenpaket vorgestellt. Würde dieses Paket um die Prüfung von technisch machbaren Gesetzesänderungen durch Vorab-IT-Testungen ergänzt, könnte das Datenland Deutschland künftigen Gesetzesänderungen entspannter entgegenblicken. Insbesondere war dies bei Änderungen mit Bezug zu Kassen oder Datenverarbeitungssystemen nicht immer der Fall. Würde man jetzt noch die Stellschraube Kassensicherheit ein Stück weiter drehen und neben der kryptografischen Sicherung durch die TSE-Lösung ab 2020 eine Online-Verifizierung mit einer täglichen Übertragung von Kasseneinzeldaten in Echtzeit an die Finanzbehörde ergänzen, könnte hier die Manipulation durch Nichterfassung zurück gehen und die anonymisierte Kassendatenanalyse mit täglich aktualisierten Daten viel schneller der Wissenschaft neue Erkenntnisse bringen, die wiederum in zielgerichtete Gesetzesanpassungen einfließen könnten. Ein Schwachpunkt bei der Online-Verifizierung war in der Vergangenheit die Tatsache, dass die Datenübermittlung nur einmal täglich stattfand. Wer vor diesem Zeitpunkt seine Kassendaten durch Zapper-Software optimiert hatte, konnte dann auf Nummer sicher gehen und die formellen Gesetzesanforderungen zur Datenübertragung umsetzen, auch wenn diese materiell-rechtlich  nicht in der richtigen Höhe deklariert wurden.

Links

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/buerokratieabbau.html

https://www.destatis.de/DE/Themen/_inhalt.html

https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/_inhalt.html

https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Ministerium/Wissenschaftlicher-Beirat/Gutachten/2020-10-30-gutachten-dateninfrastruktur-steuerpolitik.html