Strategiepapier zur Vereinfachung des Steuervollzugs – Teil 1

Von Dirk Schuster, Viktor Rebant und Gregor Danielmeyer

Ziel des Strategiepapiers 

Mit Datum vom 26.03.2024 verschriftlichten Vertreter der Steuerberaterkammer des Freistaates Sachsen, des Steuerberaterverbands Sachsen e.V., der Wirtschaftsprüferkammer Sachsen und des Landesamts für Steuern und Finanzen Sachsen das Strategiepapier zur Vereinfachung des Steuervollzuges im Bundesland Sachsen. Hierdurch soll ein effizientes und faires Besteuerungsverfahren im gemeinsamen Interesse von Verwaltung, Wirtschaft und Berufsständen der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geschaffen werden. 

Hintergründe 

Der demografische Wandel, die wirtschaftliche und personelle Ressourcenknappheit, der Fachkräftemangel und die fortschreitende Digitalisierung nehmen erhöhten Einfluss auf die Außenprüfung. Dabei kristallisiert sich zunehmend heraus, dass die Außenprüfungen

  • einheitliche Abläufe, 
  • standardisierte Methoden, 
  • Mindestanforderungen an 
    • steuerrelevante Daten,
    • Dokumentationen und 
    • Datenverarbeitungssystemen

benötigen, um Erleichterungen in der Gesetzesanwendung zu erreichen aber auch, um zeitnahe und kürzere Außenprüfungen zu realisieren. 

Da sich insbesondere durch die Einführung der E-Rechnung ab 2025, dem elektronischen Meldesystem für innergemeinschaftliche Umsätze ab 2028/2030 und die zunehmende Bedeutung von Transaktionen auf der Blockchain in der Geschäftswelt, Datenverarbeitungssysteme als Dreh- und Angelpunkt der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in den Fokus der Außenprüfungen bewegen werden, geraten nachfolgende Themen in den Fokus:

  • GoBD-Konformität der Systeme und Unternehmensprozesse
  • Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten,
  • Datenzugriffsrecht und die Umsetzung der einheitlichen digitalen Schnittstellen,
  • retrograde und progressive Prüfbarkeit eines jeden Geschäftsvorfalles. 

Erst wenn diese Stellschrauben gestellt sind und alle Schnittstellen ordnungsgemäß miteinander kommunizieren, können Erleichterungen greifen. 

Aus dem Strategiepapier

  1. Die Bereitschaft zu Kooperation mit den Merkmalen eines vertrauensvollen, wertschätzenden Miteinanders der Beteiligten wird als Grundvoraussetzung gesehen.
  2. Ziel soll es sein, eine risikoorientierte, zeitlich gestrafte Prüfung mit frühzeitiger Anforderung von Unterlagen, Einhaltung von Fristen und Datenaustauschmöglichkeiten wie etwa FinDrive zu schaffen, um schnelle und kostengünstige Rechtssicherheit für Unternehmer bzw. Steuerzahler zu erzielen. Dies kann durch standardisierte Routinen zu Beginn einer Prüfung und durch klare schaffbare Terminierungen, die nur in Ausnahmefällen verschiebbar sind, aus Sicht der Unterzeichner realisiert werden. Ebenso sollen nur steuerausfallrisikobehaftete Stellschrauben geprüft werden. Ferner soll seitens der Steuerberaterkammer, des Steuerberaterverbands und der Wirtschaftsprüferkammer die Mitglieder zur Einhaltung ihrer Mitwirkungspflichten anhalten. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Prüfung beim Steuerpflichtigen, um so zeitnah Prüferanfragen klären zu können. 
  3. Es sollen nur Betriebe geprüft werden, die auch eine Prüfungswürdigkeit mit sich bringen. Es soll nicht per se aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Betriebsgrößenklasse zu Außenprüfungen kommen. 
  4. Verbindliche Zusagen sollen zeitnah zu Beginn einer Prüfung gestellt werden, um der Betriebsprüfung die Chance zu geben, im laufenden Verfahren die Sachverhalte würdigen zu können.
  5. Steuerkontrollsysteme sollen bereits heute in die Betriebsprüfung mit einbezogen werden, um Prüfungserleichterungen bereits zukünftig und nicht erst nach Ablauf der Erprobungsphase im Jahr 2029 zu erlangen.

Beurteilung der Praxisrelevanz für die Allgemeinheit

Zunächst ist sehr positiv zu bewerten, dass sich Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und die sächsische Finanzverwaltung einig sind: Die Bereitschaft zur Kooperation ist die Grundvoraussetzung für eine vertrauensvolle und effiziente Betriebsprüfungspraxis

Die Ziele der Verfasser sind klar definiert:

  • schnellerer (frühzeitigerer) Prüfungsbeginn
  • kurze Prüfungslaufzeiten
  • frühzeitige Anforderung von Unterlagen
  • termingerechte Beantwortung von Prüferanfragen
  • elektronischer Datenaustausch über Plattformen
  • frühere Beendigung von Prüfungshandlungen ohne abzusehende, wesentliche Feststellungen
  • telefonische BP-Ankündigung mit einhergehender Abstimmung des Prüfungsbeginns, des Datenaustauschkanals, Benennung von Ansprechpartnern

Insbesondere zum Ziel der kürzeren Prüfungslaufzeiten wird dabei angeführt, dass „Prüfungen im Unternehmen unerlässlich“ (Vgl. Strategiepapier 2.4) seien. Als Praktiker aus dem Bereich Betriebsprüfung (Herr Danielmeyer ist Betriebsprüfer, Herr Rebant und Herr Schuster beraten Mandanten in digitalen Betriebsprüfungen) sind wir uns einig darüber, dass eine Vor-Ort-Prüfung unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein kann. Vor allem kann ein persönliches Kennenlernen aller Beteiligten die Kommunikation positiv beeinflussen und fördern. Denn beim Betrieb des Steuerpflichtigen handelt es sich nicht nur um eine Steuernummer oder um einen Prüfungsfall, sondern um Unternehmen, in denen Menschen tätig sind. Leider differenziert das Strategiepapier dabei nicht unterschiedliche Unternehmen und ihre Organisationsstrukturen, sodass insinuiert werden muss, dass dies im Idealfall für alle Prüfungen gelten soll.

Was das Strategiepapier nicht näher beschreibt, ist die Perspektive der Steuerpflichtigen in der Prüfung. Mit den folgenden Fragen möchten wir versuchen, diese einzubringen: 

  • „Haben wir sprachfähige Unternehmensvertreter vor Ort, die die Prüfer im Betrieb begleiten können? Besitzen diese Mitarbeiter sowohl die organisatorisch-hierarchische (=gewollte), die prozessuale (=tatsächliche) und die kommunikationstheoretische Kompetenz zum Führen von kooperativen Gesprächen?“
  • „Wie stellen wir sicher, dass keine mündlichen Aussagen durch Mitarbeitende getroffen werden, die missinterpretiert und dem Unternehmen zur Last gelegt werden können? Wer protokolliert und wird das Protokoll anschließend von der Gegenpartei bestätigt?“
  • „Wenn wir unmittelbar antworten können müssen, welche Dokumentationen fehlen uns noch und brauchen wir verbesserte Prozesse für die Überarbeitung unserer Dokumentationen? Wer darf wieviel zu welchem Prozess sagen? Wie handhaben wir Schnittstellenthemen oder -problematiken. Dies insbesondere vor der Problematik des § 158 Abs. 2 AO?“

Aus unserer Sicht entsteht dem Steuerpflichtigen, trotz allem Wohlwollen der Verfasser des Strategiepapiers, durch die Beschleunigung der Betriebsprüfung ein erhöhter Handlungsdruck. Dieser sollte durch weitreichende Handlungsempfehlungen der steuerlichen Berater kompensiert werden können. Bis diese notwendigen „Hausaufgaben“ umgesetzt sind, erhöhen sich jedoch Risiko und ggf. Kosten für den Steuerpflichtigen.

Wir geben weiterhin zu bedenken, dass der Gesetzgeber an anderen Stellen rein digitale Vorgehensweisen vorantreibt, welche vor dem Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung unbedingt auch in Betriebsprüfungen den Vorrang erhalten sollten. Es gibt u.a. bereits 

  • die Digitale Lohn Schnittstelle (DLS, gem. § 41 EStG und § 4 LStDV), 
  • die Digitale Schnittstelle der Finanzverwaltung für Kassensysteme (§ 4 KassenSichV)
  • den (aktuellen) GoBD-Beschreibungsstandard (vgl. BMF 14.11.2014, BStBl. I 2014, 1450) und
  • zukünftig den (noch nicht finalisierten) neuen Datenstandard DSFinVBV gemäß § 147b AO (s. Blogbeitrag vom 30.08.2022). 

Müsste folglich nicht auch für die BP der Ablauf standardisiert und automatisiert werden? Aus unserer Sicht fehlt es im Strategiepapier entweder an Ausführlichkeit der Beschreibung des Zielbildes einer idealen Prüfung – denn viele Berater werden ähnliche Fragen adressiert haben – oder an der Darstellung der Annahmen und Handlungsempfehlungen für die Praxis. Wir verweisen hierbei auch auf die Forderung der Bundessteuerberaterkammer aus dem Jahr 2021 hin, welche einige weitere Punkte herausstellt, die es unserer Meinung nach zu bedenken gilt (s. Blogbeitrag vom 07.03.2022). 

Die Verfasser des Strategiepapiers führen aus, dass die „Kooperationsbereitschaft des Unternehmens im Besteuerungsverfahren […] beim Prüfumfang Berücksichtigung finden“ soll. Hier sollte nach klargestellt werden, wiedies konkret geschehen soll, d.h. wie die Kooperationsbereitschaft – oder ein Mangel an derselben – quantifiziert werden soll.

Szenario I: 

Unternehmen A, mit 1.500 Mitarbeitern, nutzt Oracle als ERP-System und hat Probleme bei der Z3-Datenbereitstellung, da die Daten nicht GoBD-konform seien. Die Betriebsprüfung kann (will) so die Daten nicht akzeptieren. Unternehmen A zahlt einem Beratungsunternehmen EUR 100.000 für die Datenprüfung, -aufbereitung, -dokumentation und -übersendung.

Szenario II: Unternehmen B, mit 15 Mitarbeitern, nutzt als ERP-System ein eher unbekanntes System eines Anbieters aus Asien. Es gibt kaum Dokumentationen und die Z3-Datenbereitstellung im GoBD-Beschreibungsstandard ist nicht implementiert. Die Betriebsprüfung kann (will) so die Daten nicht akzeptieren. Das Unternehmen beauftragt einen Programmierer, der für die Nachrüstung der Funktionalität ein Tool bereitstellt. In Rechnung gestellt werden dafür EUR 25.000.

Wären beide Unternehmen kooperationsbereit? Wo beginnt diese Kooperationsbereitschaft und welches Unternehmen wäre „kooperationsbereiter“? Wir vertreten die Auffassung, dass die Kooperationsbereitschaft nur schwer quantifizierbar sein dürfte. Daher sollten dafür von Seiten der Finanzverwaltung auch konkrete Anhaltspunkte für eine gleichmäßige Bewertungsweise veröffentlicht werden. Wir gehen davon aus, dass – ganz wie bei den bewusst unkonkret gehaltenen GoBD – eine solche Konkretisierung zwar wünschenswert aber nicht abschließend möglich sein könnte. Jedoch: Auf den Versuch käme es an!

Steuerkontrollsysteme, interne Steuerkontrollsysteme oder Tax-CMS?

Im Strategiepapier wird an die moderne Betriebsprüfung die Anforderung gestellt, sie müsse mit den aktuellen Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaften Schritt halten können. Demnach werde die sächsische Betriebsprüfung auch in Zukunft interne Steuerkontrollsysteme von Unternehmen in die Prüfungen einbeziehen, was grundsätzlich sehr begrüßt wird, da damit Unternehmen, die sich diesem Thema angenommen haben, um ihre steuerlichen Pflichten Rechnung zu tragen und Fehler präventiv zu vermeiden, belohnt werden.

Im Strategiepapier wird jedoch auch die aktuelle Herausforderung deutlich. Allein im Punkt 5 werden drei verschiedene Begrifflichkeiten verwendet:

  • Steuerkontrollsysteme
  • Interne Steuerkontrollsysteme
  • Tax-Compliance-Management-Systeme (Tax-CMS)

Durch das DAC-7 Umsetzungsgesetz wurde der Art 97 § 38 EGAO eingefügt, der wiederum die Begrifflichkeit „Steuerkontrollsystem“ einführte.

Bis zum heutigen Datum hat sich die Finanzverwaltung nicht dazu geäußert,

  • Welche Bestandteile ein Steuerkontrollsystem zwingend enthalten muss
  • Wie ein Steuerkontrollsystem grundsätzlich ausgestaltet sein muss
  • Wann ein Steuerkontrollsystem als „wirksam“ gilt
  • Wann von einem „unbeachtlichem bzw. keinem steuerlichen Risiko“ gesprochen werden kann
  • Wie werden steuerliche Risiken konkret identifiziert und bewertet? Welche Methodiken und Bewertungsmaßstäbe sind anzuwenden?

Bereits in der Praxis werden im Rahmen von Außenprüfungen nach Tax-Compliance-Management-Systemen gefragt, jedoch wissen die Finanzbeamten häufig nicht, wie diese konkret aussehen müssen bzw. wie diese zu beurteilen sind. 

Dabei wäre es insbesondere für die Finanzbehörde eine einheitliche Auffassung vom Vorteil, da die Finanzbeamten sich mit den unterschiedlichsten Systemen und betrieblichen Besonderheiten in den Unternehmen im Rahmen einer Außenprüfung auseinandersetzen müssen.

In der Vergangenheit haben sich sowohl der IDW im PS 980 und den PH 1/2016 und die Bundessteuerberaterkammer in ihren Hinweisen für ein steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem – Steuer-IKS geäußert.

An der Stelle wird eine einheitliche Auffassung zwingend benötigt, um für alle Seiten und insbesondere für den Steuerpflichtigen, Rechtssicherheit zu schaffen, da die Etablierung eines SKS / Steuer-IKS oder Tax-CMS mit erheblichen monetären Kosten und den Einsatz (knapper) personeller Kapazitäten verbunden ist!

Fazit 

Es ist sehr zu begrüßen, dass die jeweiligen Vertreter sich diesem Thema angenommen und ein Strategiepapier veröffentlicht haben. Neben einer kooperativen Zusammenarbeit kann dies auch zur Sensibilisierung innerhalb der Steuerbranche führen, denn die Außenprüfung wird insbesondere im Lichte der aktuellen Haushaltslage einen höheren Stellenwert in Zukunft erlangen.

Die im Strategiepapier angesprochene Vor-Ort-Prüfung sollte dabei nicht als Ultima Ratio verstanden werden, sondern mit der Datenüberlassung (Z3-Zugriff) kombiniert werden – quasi das Beste aus beiden Welten.

Gleichzeitig sollte daran gearbeitet werden, dass neue Betriebsprüfungs-Softwares die Kommunikation innerhalb der Betriebsprüfung sicher und effizient unterstützen können. Angefangen bei dynamischen Fragebögen der Prüfer – welche Steuerpflichtige zeitlich flexibel ausgefüllt (bzw. aktualisiert) und von Prüfern bereits vor Prüfungsbeginn ausgewertet könnten – bis zu BP-Plattformen für Korrespondenz, Dokumentation und zum Datenaustausch. Diese Kollaborationstools sollten steuerliche Berater in ihr Dienstleistungsangebot aufnehmen, um den Praxisherausforderungen der Steuerpflichtigen zu begegnen und diese zu bewältigen.