Vorschlag der Bundessteuerberaterkammer für ein freiwilliges Antragsverfahren zum Erhalt von Prüfungserleichterungen in Betriebsprüfungen

Idee

Mit Schreiben vom 01.12.2021 unterbreitete die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) dem Bundesfinanzministerium (BMF) einen Vorschlag zu einem freiwilligen Antragsverfahren zum Erhalt von Prüfungserleichterungen in Betriebsprüfungen. Hierdurch erhofft sich die BStBK Rechtssicherheit im Betriebsprüfungsverfahren. Dreh – und Angelpunkt, um etwaige Erleichterungen für Steuerpflichtige erzielen zu können, ist die vorausgesetzte Implementierung eines Tax Compliance Management Systems (Tax CMS). Es ist allerdings darauf zu achten, dass dies wirksam und angemessen betrieben und installiert wird. Hieraus lässt sich folgern, dass es Unterschiede nach Größe, Branche, Mitarbeiter, einem möglichen Steuerausfall oder der Compliance-Vergangenheit des Unternehmens geben muss. Um eine hohe Qualität des eingesetzten Tax CMS erzielen zu können ist es zudem erforderlich, gesetzliche Standards zu definieren und vor Antragstellung die Einrichtung oder die Abnahme des Tax CMS durch eine Person i. S. d. § 3 StBerG zu gewährleisten. 

Streitvermeidender Steuervollzug

Das Arbeitspapier vom 01.12.2021 enthält ebenso wie das Arbeitspapier vom 29.01.2021 (Modernisierung der Betriebsprüfung – Vorschläge der Bundessteuerberaterkammer zur Anpassung verfahrensrechtlicher Vorschriften, s. Blogbeitrag v. 24.03.2021) diverse Hinweise auf das Klima im Rahmen von Außenprüfungen. So wird seitens der BStBK wiederholt auf eine konfrontative Bp hingewiesen, die als kooperative Bp gelebt werden muss. Um eine kooperative Bp oder einen streitvermeidenden Steuervollzug erzielen zu können, bedarf es jedoch Wertschätzung und Sachlichkeit aller beteiligten Stakeholder. Dies kann mit einer Kommunikations- bzw. Betriebsprüfungsmatrix (Danielmeyer, RET 2022, 53.) erzielt werden. 

Hinweis: Ferner erfordert ein streitvermeidender Steuervollzug (bilateral-verbindliche) Beantwortungs- und Vorlagefristen ebenso wie verwaltungsseitige Definitionen von Begrifflichkeiten rund um ein Tax CMS (bspw. durch ein BMF-Schreiben, wie das BMF-Schreiben vom 11.11.1974 „Zusammenstellung der in der steuerlichen Betriebsprüfung zu verwendenden Begriffe“).

Den Forderungen nach einem grundsätzlichen Kulturwandel der Finanzverwaltung hin zur Beratung in Bezug auf Mängel in der IT-Landschaft oder im Tax CMS wird als schwer umsetzbar beurteilt. So darf eine Beratung oder Empfehlung in Bezug auf Mängel in der IT-Landschaft bisher nicht erfolgen. Ebenso erfolgt keine Zertifizierung der vom Steuerpflichtigen eingesetzten IT-Verfahren oder Software (Rzn. 179 – 181 GoBD 2019).

Konkrete Teilnahmevoraussetzungen

Die Implementierung eines Tax CMS erfolgt bisher, um den umfassenden steuerlichen Pflichten nachzukommen, Sanktionen wie Verspätungs- und Säumniszuschläge vorzubeugen und das strafrechtliche Risiko gering zu halten. Ebenso gilt es Geschäftsrisiken zu minimieren (z.B. Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen) oder aber Geldbußen für Unternehmen (§§ 30, 130 OWiG) zu vermeiden. 

Eine gesetzliche Regelung zur Implementierung eines Tax CMS, etwa ab einer gewissen Umsatzgröße oder bei Begründung von multinationalen Geschäftsbeziehungen oder Unternehmen besteht nicht. Sie lässt sich jedoch aus der Leitungs- und Organisationsverantwortung des Vorstands oder der Geschäftsführer nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG, § 43 GmbHG oder dem § 289 Abs. 4 HBG ableiten (Schaefer/Baumann, Compliance-Organisation und Sanktionen bei Verstößen; NJW 2011, 3601; Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, IDW 2021, 17.) Das Thema Tax CMS bekam mit dem BMF-Schreiben vom 23. Mai 2016 zu § 153 AO eine große Bedeutung. So kann nach Tz 2.6 die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems (IKS) ein Indiz dafür sein, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit spricht. Geschieht trotz Vorhandensein eines Tax CMS ein Fehler, kann auch bei daraus folgenden Steuermindereinnahmen nicht ohne Weiteres auf einen Steuerhinterziehungsvorsatz geschlossen werden. Gleichwohl wäre die Fehlerbeurteilung seitens der Finanzverwaltung im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens vorzunehmen (Danielmeyer, Die Digitalisierung der Betriebsprüfung, ESV-Verlag 2022, 144). 

Hinweis: im Rahmen einer gesetzlichen Regelung von Standards i.Z.m. mit Tax CMS sollte der Gesetzgeber die Frage klären, wann und unter welchen Voraussetzungen überhaupt ein Strafverfahren bei einem wirksamen und angemessen betriebenen Tax CMS – unter Beachtung regelmäßiger Kontrollen – einzuleiten und bekanntzugeben ist.

Technische Voraussetzungen aus Sicht der BStBK

Die technischen Voraussetzungen bzw. Anforderungen sollten lt. BStBK insgesamt nicht überbordend sein. Erforderlich ist ein abgestuftes System, das in Abhängigkeit von der Größe der Unternehmen die Anforderungen definiert. Der Fokus darf nicht allein auf Großbetrieben liegen, sondern muss auch auf KMU gerichtet werden. Im Ergebnis müssen die Anforderungen so ausgestaltet werden, dass steuerpflichtige Unternehmen aller Größenklassen die Anforderungen realistisch umsetzen und damit von den an die Implementierung eines Tax CMS gekoppelten Rechtsfolgen profitieren können. 

Dies könnte in Form eines Anforderungskataloges ausgestaltet werden. So könnte ein Steuerpflichtiger sich bspw. anhand seiner Betriebsgröße selbst einordnen und aus dem Vorlagenkatalog die Anforderungen an das Tax CMS für sein Unternehmen entnehmen.

Kritik an der nicht definierten Vorgabe

Leider nennt die BStBK keine Ideen zur konkreten Ausgestaltung eines Mindeststandards oder Mindestanforderungen an das Tax CMS.

So sollte dabei eine grundsätzliche Anknüpfung an die Hinweise der Bundessteuerberaterkammer für ein steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem – Steuer IKS oder auch an die IDW-Standards erfolgen.

Hier sollte die Chance konkreter Vorgaben genutzt und ein erfolgreicher Weg zur Implementierung erarbeitet werden. Aktuell sind zwar schon Tax CMS im Betrieb. Die händischen oder automatisierten Überprüfungen des IKS sind in der Theorie oft zwar gut geregelt, werden in der Praxis jedoch häufig wenig gelebt. So wären automatisierte Kontrollen, etwa unter Einbindung von Blockchain-Technologie denkbar. Diese Technik hätte den Vorteil, dass Zeichnungsketten, Berechtigungen, Prozessplanungen und -Stände aber auch Stichprobenprüfungen unveränderlich mit digitalem Datenabdruck aufgezeichnet und automatisiert durch die FinVerw prüfbar wären. Bereits Liekenbrock zeigte in seinem Blogbeitrag vom 24.01.2022 auf, dass die Blockchain-Technologie Verifikationsprozesse in der Steuerwelt beschleunigen kann. Warum also sollte man an der Umsetzung alter Prüfroutinen festhalten (IDW PS 980), wenn man mit dem fortschrittlichen Einsatz neuer Technologien immense Verbesserungen schaffen kann?

Datenqualität als Grundgerüst eines Tax CMS 

Um den geforderten Vertrauensvorschuss (der per se durch die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO bereits existiert) in der Praxis umzusetzen, muss ein Tax CMS die GoBD-Konformität als Herzstück besitzen (Liekenbrock/Wähnert, a.a.O., 93). Fehlt es einem Tax CMS an einer verlässlichen Datenqualität, so werden die durch die steuerlich verantwortungstragenden Personen weiterverarbeiteten Daten häufig nicht die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO bestätigen können.

In diesem Zusammenhang muss erneut darauf hingewiesen werden, dass, in steuerliche Prozesse einbezogene, Datenverarbeitungssysteme (Rz. 20 GoBD 2019) häufig keine homogene Datenqualität besitzen. In Verbindung mit einem fehlenden Datenstandard für Aufzeichnungen und insbesondere den Export für die Außenprüfung resultiert dies häufig in einer Art „Datenmüll“. Bei der Erstellung eines Tax CMS sollte eine Data bzw. GoBD-Governance-Strategie  einen essenziellen Kernbereich darstellen (Liekenbrock/Wähnert, a.a.O., S 138; Liekenbrock/Danielmeyer, RET 2021, 32). 

Hinweis: Die GoBD regeln den Wandel der analogen hin zur digitalen Steuerwelt. Da es sich um ein BMF-Schreiben handelt, wird in der Praxis immer wieder diskutiert, ob es denn nun bindend ist oder nicht. Um hier die ständige Diskussion zu beenden, wäre eine gesetzliche Regelung wünschenswert. Stichwort: streitvermeidende Ausgestaltung des Steuervollzugs.

Diese Strategie könnte dann als durch die von der BStBK geforderte Standardvoraussetzung für die Erstellung oder Implementierung eines Tax CMS gelten.  

In diesem Zusammenhang ist das Thema Verfahrensdokumentation (VD) lt. GoBD (Rzn. 151 – 155) für steuerlich relevante IT-Systeme zu benennen. Zum Verständnis der DV-Systeme und zur Beurteilung der sachlichen Richtigkeit der erzeugten und deklarierten Daten ist eine Prüfung bzw. Beschäftigung mit der VD unabdingbar. In der Praxis werden zwar zunehmend VDs erstellt und vorgelegt, doch fehlt es hier an einer Vorgabe zu Umfang, Form und Motivation, um diese Prozessbeschreibung tatsächlich zu erstellen. Es gibt Außenprüfungen, die einen Schwerpunkt auf die Verfahrens- und Systemprüfung legen und somit zwingend eine VD erfordern. Es gibt aber auch Außenprüfungen, bei denen die rechtliche Würdigung eines Sachverhaltes ohne Beurteilung der Datenlage oder Qualität erfolgt. Hier fordert der Bundesrechnungshof (Bemerkung 20 aus 2020) zu Recht einen bundesweiten flächendeckenden Einsatz von quantitativen Prüfungsmethodiken, die auf einer homogenen Datenbasis aufbauen sollten. 

Abbildung Vorschlag Verifikationsprozess Tax CMS (Quelle: eigene Darstellung)

  1. In der Data bzw. GoBD-Governance erfolgt die grundsätzliche Beschreibung der verwendeten betrieblichen IT-Landschaften inklusive Tax CMS und DV-Systeme.
  2. Die steuerlich relevanten DV-Systeme sind bekannt. Das Unternehmen trägt Sorge dafür, dass die Daten von der Entstehung bis hin zur Archivierung (beachte: steuerliche und außersteuerliche Aufbewahrungspflichten!) und den Export für die Außenprüfung unveränderbar/ nachvollziehbar zur Verfügung stehen.
  3. Die Prozesse werden verständlich in der Verfahrensdokumentation niedergeschrieben und versioniert. Ein IKS überwacht die Funktion und Einhaltung der Arbeitsschritte bzw. Prozesse. 
  4. Es können sowohl seitens der FinVerw aber auch seitens der Steuerberatung/ der Steuerabteilung GoBD-Checks durchgeführt werden. Hier kann sich an den Prüfschritten des IDW PH 9.860.4 (07.2021)  orientiert werden. Betriebliche Besonderheiten wären explizit abzubilden und zu prüfen (s. insoweit Blogbeitrag v. 24.09.2021).
  5. Eine Verifikation des Tax CMS kann durch Einsatz von Blockchain-Technologie mit Permanentkontrollen ausgestattet werden. Hier könnte der FinVerw etwa eine Lese- bzw. Prüfzugriff gewährt werden (s. Drummer/Gries/Stettner, RET 2021, 24 [27]). Dies könnte sogar losgelöst vom nachgelagerten Prüfungsturnus in Echtzeit geschehen. 

Adressatenkreis

Lt. BStBK ist es erforderlich, dass ein abgestuftes System, das in Abhängigkeit von der Größe der Unternehmen die Anforderungen definiert. Der Fokus darf nicht allein auf Großbetrieben liegen, sondern muss auch auf KMU gerichtet werden. Im Ergebnis müssen die Anforderungen so ausgestaltet werden, dass steuerpflichtige Unternehmen aller Größenklassen die Anforderungen realistisch umsetzen und damit von den an die Implementierung eines Tax CMS gekoppelten Rechtsfolgen profitieren können. 

Hinweis: Adressat sind alle in Deutschland steuererklärungspflichtige Unternehmen unabhängig von Größe und Art der Gewinnermittlung. Darunter fallen Unternehmen, die die digitale Transformation abgeschlossen haben, aber auch solche, die noch in der analogen Welt agieren. Hier ist es wichtig, diese analog agierenden Unternehmen für die digitale Welt „abzuholen“. Dies kann mangels vorhandener Ressourcen und mangels Auftrags nicht durch die FinVerw erfolgen. Ferner stellt sich die Frage, was bei Unternehmen mit Auslandsbezug bzw. multinationalen Unternehmen in Bezug auf die Ausgestaltung eines Tax CMS zu beachten ist. 

Das Clustern der Unternehmen nach Größenklassen (§ 3 BpO 2000) erscheint zwar auf den ersten Blick sinnvoll, doch wie ist mit Schwankungen von Umsatz- oder Gewinnklassen umzugehen? Darf ich als Unternehmen bei Unterschreitungen der Grenzen keinen Antrag auf Prüfungserleichterungen stellen? 

Datenübermittlung bzw. Datenzugriff auf das Tax CMS

Vor erfolgter Prüfungsanordnung oder nach Beendigung einer Außenprüfung soll das Unternehmen bzw. die Steuerberatung im elektronischen Verfahren die Antragstellung zum Erhalt von Prüfungserleichterungen vornehmen können. Beizufügen ist das Tax CMS in elektronischer Form und in deutscher Sprache. Doch wie soll ein Tax CMS exportiert werden für eine Datenlieferung? Gibt es eine Taxonomie, die vorgibt, welche Werte, Tabellen, Kennzahlen oder Mindestangaben zu übermitteln sind? Wie hat der Zugriff am System zu erfolgen, wenn etwa Anomalien oder Systeminkonsistenzen auftreten?

Wie ist der iterative Prozess zu starten? Wann ist ein Steuerstrafverfahren einzuleiten, wenn Anomalien auf eine Manipulation schließen lassen?

Fazit

Die Forderungen nach einem freiwilligen Antragsverfahren zum Erhalt von Prüfungserleichterungen in Betriebsprüfungen der BStBK ist ein weiterer wichtiger Schritt, Bürokratie abzubauen, Ressourcen freizugeben und durch automatisierte Prüfroutinen schnellere Bestandskraft von Steuerbescheiden zu erlangen. Doch ebenso wie die Forderungen nach der zeitnahen Betriebsprüfung bleiben diese eher theoretisch. Gerade unter Beachtung der Digitalisierungsoffenheit der aktuellen Bundesregierung (s. ausführlich „Der Koalitionsvertrag der „Ampel“ aus taxtech-Sicht – Teil I, Liedgens, RET 2022, 58.) sollten die Forderungen einen konkreten – in der Praxis befahrbaren – Aktionsplan beinhalten. 

Dies gilt insbesondere für die Forderung der BStBK nach einem abgestuften System, in welchem in Abhängigkeit der Unternehmensgröße Anforderungen an ein Tax CMS definiert werden können. Die BStBK fordert dies zwar vor dem Hintergrund von Betriebsprüfungserleichterungen. Jedoch dient ein Tax CMS in erster Linie der Enthaftung der geschäftsführenden Organe, sodass diese Forderung nach größenspezifischen Anforderungen an ein Tax CMS auch ohne den Fokus von Betriebsprüfungserleichterungen für Unternehmen Relevanz entfalten könnte.