Mit der Blockchain „mehr Fortschritt wagen“ bei dem angekündigten Meldesystem für den Rechnungsverkehr

Neue Bundesregierung setzt klar auf die Blockchain-Technologie

Der Koalitionsvertrag 2021 der „Ampel“ ist an zahlreichen Stellen gespickt mit Hinweisen, dass Deutschland bzw. der Verwaltungsapparat digitaler, effizienter und serviceorientierter werden muss (s. Liedgens, taxtech.blog v. 9.12.2021). Bürokratie gilt es durch smarte technologische Lösungen abzubauen. Im Koalitionsvertrag wird die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) als digitale Schlüsseltechnologie bezeichnet, weshalb auch der Begriff der Blockchain mehrfach in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt wird (Bekämpfung missbräuchliche Dividendenarbitrage, Erprobung digitales Grundbuch, Förderung FinTechs). Auch die Europäische Kommission und andere Staaten haben diese Technologie für die Modernisierung des E-Government fest im Blick und in der Erprobung (s. bspw. den Use Case zur Import-One-Stop-Schop-ID).

Im letzten Jahr wurden mehrere Blockchain-basierte Projekte vom Bundeskanzleramt gefördert. Prominenter Use Case im Mehrwertsteuerbereich ist das Pilotprojekt des Bayerischen Landesamts für Steuern, ein blockchain-basiertes Identitätsmanagement [Self-Sovereign Identity (SSI)] für Bescheinigungen von Online Marktplatznutzern (dazu Müller, taxtech.blog v. 05.10.2021); ein weiteres SSI/Elster-Projekt mit dem Namen NESSI startet Bayern mit der Sparkasse).

Der Run auf die Blockchain ist damit voll im Gange und erste produktive Nutzungen sind in einigen Monaten oder in wenigen Jahren auch in der öffentlichen Verwaltung klar zu erwarten. Vor diesem Hintergrund ist dieser Blogbeitrag ein Appell an die Bundesregierung und die deutsche Finanzverwaltung, dass diese Technologie auch für Zwecke der Mehrwertsteuerbetrugsbekämpfung eingesetzt wird.

Neues Meldesystem für den Rechnungsverkehr wird kommen

Es ist nach dem Koalitionsvertrag und auch den öffentlichen Aussagen des Bundesfinanzministers ausgemacht, dass der Mehrwertsteuerbetrug durch ein wie auch immer geartetes Meldesystem des Rechnungsverkehrs eingedämmt werden soll. Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag (S. 167):

Wir werden weiterhin den Umsatzsteuerbetrug bekämpfen. Dieser Weg soll in Zusammenarbeit mit den Ländern intensiviert werden. Wir werden schnellstmöglich ein elektronisches Meldesystem bundesweit einheitlich einführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird. So senken wir die Betrugsanfälligkeit unseres Mehrwertsteuersystems erheblich und modernisieren und entbürokratisieren gleichzeitig die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und den Betrieben. Wir werden uns auf EU-Ebene für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem einsetzen (z. B. Reverse-Charge).

Die neue Bundesregierung greift damit ein Thema auf, dass sich die EU-Kommission in ihrem Aktionsplan aus dem Jahre 2020 auf den Prüfzettel geschrieben hat (COM(2020) 312 final, S. 10 f.). Der Koalitionsvertrag äußert sich nicht dazu, wann und mittels welcher Technologie das elektronische Meldesystem aufgesetzt werden soll. Ihren Zeitplan und die technische Umsetzung könnte sie von dem Projektfortschritt auf EU-Ebene abhängig machen. Man könnte ggf. auch vermuten, dass die Regierung in diesem Punkt nicht als erstes an die Blockchain-Technologie denkt, weil sie es sonst sicher – wie in anderen Passagen (z.B. bei Dividendenarbitragegeschäften, S. 167) auch – ausdrücklich hervorgehoben hätte. Möglicherweise will man sich an den Herangehensweisen anderer EU-Staaten wie bspw. Italien oder Spanien orientieren, die mit ihren in konzeptioneller und technischer Hinsicht unterschiedlich ausgestalteten Meldesystemen ihr Mehrwertsteueraufkommen wirksam schützen konnten. Keiner der genannten Staaten setzt dabei aber aktuell auf die Blockchain-Technologie. Dies ist vor dem Hintergrund der European Blockchain Service Infrastructur (s. dazu Liekenbrock/Müller, beck.digitax 2021, S. 374; taxtech.blog v. 18.10.2021) und deren umsatzsteuerlichen Usecases eigentlich erstaunlich. Deutschland sollte Vorreiter sein und sich die Blockchain-Technologie zunutze machen.

Blockchain-Technologie ist prädestiniert dafür, das Mehrwertsteuerverfahren betrugssicherer und effizienter zu gestalten

Die Blockchain-Technologie drängt sich in dem hiesigen Kontext geradezu auf und es wäre angesichts der vielen positiven Erwähnungen dieser Technologie im Koalitionsvertrag nur konsequent hierauf auch bei der Mehrwertsteuerbetrugsbekämpfung zu setzen. Zahlreiche wissenschaftliche Ausarbeitungen belegen dies (z.B. Fettke/Risse, Der Betrieb 2018, S. 1748; Duperrut/Thevoz in Owens/Risse, 2021, S. 109 ff.; Müller, Bekämpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung, Diss., 2022). Auch der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht vom 29.10.2020 deutlich gemacht, dass der Blockchain-Technologie eine Schlüsselrolle bei der effizienten Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung zukommt (Link, S. 39):

So ließe sich durch eine taggenaue Übermittlung der Daten feststellen, wer wann welche Rechnungen ausgestellt hat und wieviel Umsatzsteuer zu zahlen ist. Diese Informationen ließen sich mit den Daten des Rechnungsempfängers und damit des Vorsteuerabzugsberechtigten verknüpfen. Vorsteuererstattungen würden sich dann unmittelbar aus den in der Blockchain gespeicherten Daten ergeben. Die Risikomanagementsysteme der Finanzverwaltung sollten Abweichungen und Unregelmäßigkeiten zeitnah erkennen können, sodass die Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Sachverhalte umgehend und punktgenau prüfen könnte.“

Werden relevante Rechnungsdaten auf der Blockchain gespeichert, könnten diese als Basis für die Umsatzsteuerzahllast bzw. Vorsteuererstattung herangezogen werden. Eine auf Vertrauensvorschuss basierende Umsatzsteuervoranmeldung durch die Steuerpflichtigen wäre hinfällig. Die Daten sind auf der Blockchain manipulationssicher gespeichert und sie wären für die Finanzverwaltung automatisiert auswertbar und für Veranlagungszwecke verwertbar (s. auch Danielmeyer in Rethinking Tax 2021, S. 93).

Im B2B-Umfeld könnte der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger automatisiert über die Blockchain an die Umsatzsteuerzahlung des Leistenden gekoppelt werden. Ferner könnten USt-ID-Prüfungen automatisiert erfolgen und bei ungültigen IDs die Steuerbefreiung oder Vorsteuererstattung insoweit ausgeschlossen werden (Hinweis: die USt-ID-Vergabe und Verifikation kann ebenfalls blockchain-basiert über das SSI-Konzept verbessert werden). Auffällige Transaktionen bspw. mit möglichen Scheinfirmen (häufig Unternehmen mit kurzer „Lebensdauer“) könnten schnell erkannt und gezielt von Finanz- und Zollbeamten unter die Lupe genommen werden. Ferner könnten aufwendige Dokumentationsnachweise (z.B. Gelangensbestätigung) in die Blockchain-Ökonomie der Finanzverwaltung integriert und somit Dokumentationspflichten der Steuerpflichtigen sowie Kontrollen der Finanzverwaltung automatisiert werden.

Aus Sicht der steuerehrlichen Unternehmen hätte die Verwendung der Blockchain den Vorteil, dass die umsatzsteuerlichen Befolgungskosten (Tax Compliance Costs) gesenkt werden und ihre Daten kryptografisch verschlüsselt, dezentral sowie datenschutz- und GoBD-konform gespeichert werden. Kriminelle Angriffe auf Rechnungsdaten bspw. zur Ausspionierung von Lieferketten und Preisen der Unternehmen werden im Vergleich zu zentralen Architekturen erschwert. Dies ist im Vergleich zu traditionellen Systemen ein wichtiger Akzeptanzvorteil der Blockchain-Technologie.

Das Meldesystem sollte sich bestehende E-Invoicing-Netzwerke nutzbar machen und nicht umwerfen

Es ist auch nicht erforderlich, dass hierfür wie in Italien vorgelagert ein neues elektronisches Rechnungsformat bspw. a la XRechnung flächendeckend eingeführt werden müsste (zum italienischen Clearence-System s. bspw. VeR-Studie). Es könnten bestehende E-Invoicing-Netzwerke bzw. EDI-, XML- und andere Daten-Standards, die branchenspezifisch mit einem teils sehr hohen Abdeckungsgrad eingesetzt werden, genutzt und die relevanten Rechnungsdaten könnten per Schnittstelle in die Blockchain der Finanzverwaltung automatisiert geschrieben werden. Auch E-Commerce-Systeme und Handelsplattformen könnten – ohne Eingriff in bestehende Datenstandards der jeweilige Ökosysteme – per Schnittstelle an die Blockchain angebunden werden. Dies würde die Akzeptanz erhöhen und die Implementierung erleichtern.

Plattform für den elektronischen Rechnungsdatenaustausch als Service anbieten

Für andere Unternehmen, die noch nicht in standardisierter Form auf den elektronischen Rechnungsverkehr setzen, könnte bspw. die XRechnung als Datenstandard angeboten werden, die über eine von der Verwaltung bereitgestellte und mit der Blockchain verbundene Plattform zwischen den Handelspartnern ausgetauscht werden kann. Diese Plattform könnte auch mit bestehenden E-Invoicing-Netzwerken und Meldesystemen anderer Fiski kompatibel ausgestaltet werden. So könnte die deutsche Verwaltung einen Beitrag zur Digitalisierung und Effizienzsteigerung von Unternehmensprozessen leisten und den digitalen Binnenmarkt stärken.

Fiskalisierung von Rechnungen für Digitalisierungsverweigerer vorsehen

Diejenigen Unternehmen, die weiterhin Papierrechnungen oder andere ineffiziente Rechnungsprozedere verwenden, müssten ihre Rechnungsdaten dann manuell auf der v.g. Plattform erfassen, um die Papier- oder PDF-Rechnung mit einer obligatorischen Fiskal-ID (Ausgangsrechnungen) versehen zu können, und um Vorsteuerentlastungen für Eingangsrechnungen geltend machen zu können. Eine solche Form der Fiskalisierung könnte auch im B2C-Umfeld als Standard eingeführt werden, sollten die Kunden auf eine Papierrechnung bestehen (die Kassensicherungsverordnung lässt grüßen…). Natürlich sollte auch an Befreiungen für Kleinunternehmer oder im Falle sonstiger unbilliger Härten gedacht werden.

Innerhalb von 3 Jahren zum blockchainbasierten Meldesystem

Ein blockchainbasiertes Meldesystem wäre in einer ersten Ausbaustufe (Fokus B2B) bei Aufsetzen auf bestehenden E-Invoicing-Standards innerhalb eines Dreijahreszeitraum technisch umsetzbar. Ein Pilotprojekt mit einer kleineren Gruppe von Unternehmen, die ihre bestehenden elektronischen Rechnungssysteme mit der Blockchain-Ökonomie verbinden, könnte innerhalb eines Jahres realisiert werden. Parallel dazu könnte die o.g. Plattform für den standardisierten XRechnungsaustausch aufgebaut werden. Bei erfolgreichem Abschluss des Piloten könnte das System in einem Folgejahr verpflichtend für bestimmte Unternehmensgruppen (z.B. für Unternehmen, die bereits eine hohe EDI-Quote haben) und für die übrigen Unternehmen wahlweise eingeführt werden. In Abhängigkeit von den praktischen Erfahrungen könnte der Kreis der verpflichteten Unternehmen im dritten Jahr weiter ausgeweitet werden. Nach einer Übergangsphase könnte das System für alle inländischen Unternehmen verpflichtend sein.

Innerhalb dieses Zeitraums sollte es innerhalb der EU möglicherweise auch gelungen sein, dass jedenfalls im B2B-Umfeld die Papierrechnung – ohne Sondererlaubnis der EU – verbannt und ein obligatorischer elektronischer Rechnungsverkehr gesetzlich vorgeschrieben werden darf. Wenn das geschafft ist, gelingt es ja vielleicht auch irgendwann, einen Mehrwertsteuer-Token für den europäischen Binnenmarkt einzuführen, über den steuerrelevante Transaktionen und der Steuervollzug vollautomatisiert abgewickelt werden könnte (dazu Liekenbrock/Müller, beck.digitax 2021, S. 374). Für Deutschland gilt es aber zunächst den Abstand zu anderen EU-Ländern (z.B. Spanien oder Italien) im Bereich der Mehrwertsteuerbetrugsbekämpfung zu reduzieren, in dem bei der Umsetzung des Meldesystems für Rechnungen auch echter technologischer Fortschritt gewagt wird.