Digitaltaugliche Steuergesetze als Kern der Digitalisierung des Steuerrechts

Digitaltaugliche Steuergesetze

Der Begriff der „Digitalisierung des Steuerrechts“ wird oftmals auf die Abschaffung von manuellen Steuerprozessen hin zu voll- oder teilautomatisierten Prozessen reduziert. In diese Richtung ging jedenfalls das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens aus dem Jahre 2016.  

Dabei wird jedoch der Verknüpfung von Recht und Technik oftmals nicht genug Beachtung geschenkt. Grundbaustein für das Verhältnis Staat und Bürger ist das materielle Steuerrecht, welches auch eine digitale Ausgestaltung bzw. Transformation verdient, wenn nicht sogar benötigt. Die digitale Ausgestaltung des grundlegenden rechtlichen Rahmens rückt mittlerweile stetig in den Fokus und erlebt eine „Wiederentdeckung“ (s. zur Historie: Anzinger, DStJG 42 (2019), 15 [23 ff.]). Dies zeigt nicht nur die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP Fraktion (BT-Drs. 19/29109). Auch das kürzlich veröffentlichte Gutachten des Normenkontrollrates (NKR) zum digitaltauglichen Recht oder die NEGZ Nr. 19 Studie zur Digitalisierung der Gesetzgebung legen den Fokus auf die digitaltaugliche Ausgestaltung des Steuerrechts. Im Übrigen ist dies auch ein Schwerpunkt der Arbeit des Instituts für Digitalisierung im Steuerrecht (IDSt).

Was genau versteckt sich hinter dem Begriff der digitaltauglichen Steuergesetze?

Mit den Steuergesetzen will der Gesetzgeber den Lebenssachverhalt des Steuerpflichtigen entsprechend dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfassen.

Dem Gesetzgeber gelingt es häufig nicht, für jeden Lebenssachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen klar zu regeln. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Fehlende oder unklare Definitionen, sprachliche Formulierungsschwächen, verworrene Gesetzeslogiken oder unklare Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Gesetzesnormen sind nur einige Gründe. Dies führt dann zu Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung, weswegen Finanzverwaltung, Steuerpflichtige und Gerichte ihrerseits Interpretationen der unklaren Gesetzesregelungen vornehmen. Dies führt regelmäßig zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen den „Parteien“. Wenn sich an diesem Status Quo grundlegend nichts verändert, ist es nur schwer denkbar, dass die Steuergesetze zukünftig in einen rechtsstabilen Algorithmus überführt und durch Applikationen ausgeführt werden können (ähnlich auch NEGZ-Studie Nr. 19, S. 6).

Der Begriff der digitaltauglichen oder „automationsfreundlichen“ Steuergesetze (s. Schmidt, RET 1/2021, S. 51) beschreibt damit einen Steuergesetzestext, der vom Grundgedanken den Willen des Gesetzgebers präzise zum Ausdruck bringt und eine eindeutige Subsumtion der Lebenssachverhalte ermöglicht (zur Möglichkeiten der Digitalisierung des Rechts siehe bereits Anzinger, DStJG 42 (2019), S. 15 mit umfassenden Nachweisen).

Problem: Unbestimmte Rechtsbegriffe

Bei unbestimmten Rechtsbegriffen fehlt es an einer Legaldefinition im Gesetzestext. Da der Wortlaut des Gesetzes stets den Anknüpfungspunkt von Auslegungen darstellt, führen insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe zu divergierenden Interpretationen. Dies kann sogar insoweit auf die Spitze getrieben werden, als dass mehrfach belegte Rechtsbegriffe je nach Kontext steuerlich unterschiedlich interpretiert werden. Letztendlich obliegt es den Gerichten die Auslegung und die Feststellung des objektivierten Willens des Gesetzgebers für den jeweiligen Einzelfall festzustellen, woraus sich unter Umständen eine präjudizielle Wirkung für andere Sachverhalte ergibt. Die Unklarheit und Unbestimmtheit von Steuergesetzen belasten daher nicht selten das Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen, Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit.

Im bisherigen Status Quo wird ein Algorithmus eine (fehlerfreie) Subsumption von Daten unter einem unbestimmten Rechtsbegriff nicht ohne Weiteres bewerkstelligen können (s. dahingehend auch Schmidt, RET 06/2020, S. 17). Dies liegt daran, dass (im Status Quo) die Sprache des Rechts nicht ohne eine Übersetzung in digitale Formate durch verwendete Technologien verarbeitet werden kann. Daraus folgt ein essenzielles Hemmnis beim Technikeinsatz (s. Anzinger, DStJG 42 (2019), 15 [27]; implizit BT-Drs. 19/29109, S. 5, Antwort zu Frage 14). Dies gilt erst recht für unbestimmte Rechtsbegriffe, da deren exakte Auslegung unklar oder sogar streitig ist.

Bilinguales Gesetzgebungsverfahren als Lösungsansatz?

In den jüngsten Vorschlägen zu digitaltauglichen Steuergesetzen findet sich oftmals der Vorschlag, Steuergesetze in bilingualer Sprache, d.h. in menschlicher und in maschinenlesbarer Sprache, zu fassen (s. NEGZ-Studie Nr. 19, S. 23 ff.; Schmidt, RET 01/2021, S. 51 [53]).

Ein Gesetzestext nach Ablaufplan führt nicht zwangsweise zur vollkommenen Digitaltauglichkeit

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es mit Blick auf die technische Umsetzung Vorteile bringt, Gesetze auf ihre Digitaltauglichkeit bzw. digitale Umsetzbarkeit zu überprüfen, indem der Gesetzestext in einen Ablaufplan überführt wird, der auch durch einen Algorithmus abgearbeitet werden kann. Solche Ansätze sind bereits mit dem Programmablaufplan zur Berechnung der Lohnsteuertabellen (§ 39b EStG) im Rahmen der Gesetzgebung verwirklicht worden. Dies löst jedoch nicht das Problem von unbestimmten Rechtsbegriffen, da der Algorithmus erkennen müsste, ob genug Daten vorliegen, um die Erfüllung eines unbestimmten Tatbestandsmerkmals zu bejahen. Somit geht es um die Frage, ob eine automatisierte Entscheidungsfindung möglich ist.

Gleichwohl ist anzumerken, dass sich allein durch die Orientierung des Gesetzestextes an einen Ablaufplan die Chance bietet, dem Gesetz selbst eine einfache Struktur und Logik zu geben. Dadurch würde das Recht an Digitaltauglichkeit und ggfs. sogar an Einfachheit gewinnen.

Automatisierte Entscheidungsfindung durch Verknüpfung von Begriffen mit bestimmten Datenquellen?

Der Antwort der Bundesregierung lässt sich entnehmen, dass sie dieses Problem im Blick hat (s. BT-Drs. 29/29109, S. 5). Zur Lösung dieses Problems sei die Erarbeitung von Rahmenbedingungen erforderlich, um (Rechts-)Begriffe mit Datenquellen (z.B. Datenfeldern) verknüpfen zu können. Spezifische Schnittstellen müssten für bestimmte Begriffe zur Anwendung kommen, um den automatisierten Entscheidungsprozess zu vereinfachen.

NKR: Data Dictionary & Data Repository als zentrales Instrument für die Digitaltauglichkeit des Rechts

Eine solche Verknüpfung von (unbestimmten) Rechtsbegriffen und Datenquellen geht auch aus dem Gutachten des NKR hervor (dort unter Kernbotschaft Nr. 4, 5 und 6, S. 7). Um eine Eindeutigkeit und Passgenauigkeit von Recht und Technik zu erreichen, schlägt der NKR als Handlungsempfehlung die Schaffung eines „Data Dictionary“ und eines darauf aufbauenden „Data Repository“ vor. Das Data Dictionary soll als Glossar Begriffe und die zugehörigen Datenquellen beschreiben (s. NKR-Gutachten, S. 104). Das Data Repository soll die technische Datenstruktur dahinter definieren, indem die Begriffsdefinitionen in Datenfelder übersetzt werden (s. NKR-Gutachten, S. 106). Im Übrigen stellt sich dann die Frage, ob es nicht Aufgabe der Gerichte wird, die den Rechtsbegriffen zugeordneten Datenquellen zu überprüfen. Denn die Zuordnung von Datenquellen zu Rechtsbegriffen stellt indes wiederrum nur die technische Übersetzung von der jeweiligen Interpretation des entsprechenden Gesetzestexts dar.

Verfolgt man diesen Ansatz, ist es zukünftig notwendig, sich bei der Erarbeitung von Gesetzen bereits über die notwendigen Datenquellen Gedanken zu machen. Eine solche Digitaltauglichkeitsprüfung muss daher schwerpunktmäßig überprüfen, welche Rechtsbegriffe der Gesetzestext verwendet und welche dafür erforderlichen Datenquellen bereits vorhanden sind. Dafür bietet das Instrumentarium des „Data Dictionary“ & „Data Repository“ ein Vereinfachungspotenzial (s. NKR-Gutachten, Kernbotschaft Nr. 8, S. 8). Des Weiteren darf die Digitaltauglichkeitsprüfung nicht die Klarheit und Einfachheit der Struktur vergessen (s.o.).

Im Übrigen ähnelt diese Verknüpfung von Rechtsbegriffen und Datenquellen der semantischen Vernetzung von Metadaten und Annotationsstandards. Dabei stellen Metadaten keine reinen Übersetzungen von menschlicher Sprache für Zwecke der Informationstechnologie dar. Die semantische Vernetzung ermöglicht dem Algorithmus, menschliche Sprachelemente zu verstehen und einzuordnen (s. Anzinger, DStJG 42 (2019), 15 [30 f.]).

Chance zur Erhöhung der Praktikabilität des Steuerrechts

Der Gesetzgeber sollte jedoch diese Verknüpfung von Datenquellen und Rechtsbegriffen nicht zum Anlass nehmen, die Steuergesetze mit weiteren unbestimmten Rechtsbegriffen anzureichern. Die Debatte um digitaltaugliche Steuergesetze gibt dem Gesetzgeber gerade in dieser Hinsicht auch die Chance, seinen Regelungswillen eindeutig im Gesetz niederzuschreiben. Denn die präzise Umsetzung des gesetzgeberischen Willens in den Gesetzestext bleibt die Kernaufgabe im Rahmen der Gesetzgebung. Nebenbei bietet das Thema der digitaltauglichen Steuergesetze dem Gesetzgeber auch die Möglichkeit, von verworrenen Gesetzeslogiken und -strukturen abzusehen, um so u.a. die Praktikabilität des Steuerrechts zu erhöhen.

Ausblick: Implizite Abkehr von unbestimmten Rechtsbegriffen?

Der Vorschlag des NKR ist im Grundsatz zu begrüßen, da eine Methodik zur Verknüpfung von rechtlichen Begriffen mit digitalen Datenquellen die Digitaltauglichkeit von Steuergesetzen positiv beeinflussen kann. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwiefern noch von unbestimmten Rechtsbegriffen gesprochen werden kann, wenn diese bereits durch Datenmodelle oder Datenquellen hinreichend definiert werden. Daher kann im Grundsatz eine implizite Abkehr von unbestimmten Rechtsbegriffen grundsätzlich angenommen werden, wenngleich die Zuordnung von Datenquellen durchaus (neue) Streitpotenziale aufwirft. Ein grundsätzliches Streitpotenzial kann im Übrigen reduziert werden, wenn der Gesetzgeber die Digitaltauglichkeit als Chance nutzt, die Gesetze stringent mit Blick auf den beabsichtigten Zweck zu formulieren. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, dass auch andere Faktoren, wie inkonsistente Logiken und Strukturen im Aufbau der Gesetzestexte, ebenfalls die digitaltaugliche Ausgestaltung des Steuerrechts negativ beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber stärker die Klarheit und Einfachheit des Steuerrechts in den Fokus nimmt.