VAT E-Commerce Package | Interview mit eClear und Taxdoo

Am 1. Juli 2021 war der Golive des VAT E-Commerce Packages, der für Online-Händler, Marktplatzbetreiber und Steuerberater mit tiefgreifenden umsatzsteuerlichen Änderungen verbunden ist. Hierüber habe ich mit den Tax-Tech-Unternehmen eClear und Taxdoo gesprochen.

Welche Änderungen bringt das VAT E-Commerce Package mit sich und welche Auswirkungen ergeben sich für Händler und Steuerberater? Können Sie dies bitte an einem Beispiel erläutern?

Annett Schaberich (eClear):
Annett Schaberich von eClear

Es gibt verschiedene Neuregelungen wie bspw. die Änderung der Lieferschwelle, die Abschaffung der 22 Euro Steuerfreigrenze für Importe oder die Regelung für Marktplätze. Bzgl. der Änderung der Lieferschwelle, die nun nicht mehr länderspezifisch zwischen 35.000 und 100.000 EUR, sondern EU-einheitlich bei 10.000 EUR liegt, möchte ich folgendes Beispiel nennen:

Ein Händler mit Warenlager in Deutschland hat bislang im Jahr 2021 (vor dem 1.7.2021) Waren an Privatkunden in Österreich für EUR 25.000 und Italien für EUR 15.000 verkauft. Damit lag er unter den landesspezifischen Lieferschwellen von jeweils EUR 35.000 und konnte somit die Lieferungen mit deutscher Umsatzsteuer abrechnen. Eine umsatzsteuerliche Registrierung in Österreich und Italien war nicht notwendig, d.h. der Händler musste sich nicht mit ausländischem Umsatzsteuerrecht befassen. Auf Grund der Absenkung der Lieferschwelle auf EUR 10.000 werden nun alle Verkäufe an Privatkunden in anderen EU-Mitgliedstaaten aus 2021 betrachtet, was für diesen Händler zur Verpflichtung der Besteuerung seiner Verkäufe ab dem 1.7.2021 in Österreich und Italien führt. Auch wenn der Händler nun im August 2021 noch weitere EU-Länder beliefert, muss er dort sofort die jeweilige lokale Umsatzsteuer abführen.

Um die diversen umsatzsteuerlichen Registrierungspflichten zu vermeiden, besteht für die Händler die Möglichkeit, die Umsatzsteuer für solche Verkäufe an Privatkunden in anderen EU-Mitgliedstaaten an eine zentrale Stelle zu melden und das Geld zu zahlen: der One-Stop-Shop.

Anna Heidbüchel (Taxdoo):
Anna Heidbüchel von taxdoo

Der One-Stop-Shop fungiert als zentrale Anlaufstelle für Online-Händler, um ihre grenzüberschreitenden Fernverkäufe an Endkunden in der gesamten EU melden zu können. So kann eine lokale umsatzsteuerliche Registrierung im jeweiligen Mitgliedstaat vermieden werden. Allerdings ist zu beachten, dass, wenn auch Lager im Ausland genutzt werden, z.B. im Rahmen vom Amazon CEE oder PAN EU Programm, weiterhin lokale Registrierungen in diesen Staaten bestehen bleiben und umsatzsteuerliche Meldungen vorgenommen werden müssen. Das stellt Onlinehändler und ihre Steuerberater vor die Herausforderung, eine zweigleisige Compliance-Struktur zu etablieren. Es muss dazu auf Einzeltransaktionsbasis entschieden werden, welche Transaktion über lokale umsatzsteuerliche Registrierungen oder über den One-Stop-Shop gemeldet wird. Diese Compliance-Struktur muss nicht nur bei den Umsatzsteuer-Erklärungen, sondern auch im Rahmen der Finanzbuchhaltung berücksichtig werden. Neben dem Aufbau einer zweigleisigen Compliance-Struktur gibt es für Onlinehändler noch weitere Herausforderungen. Dadurch, dass in nahezu jedem EU-Staat, in den ein Paket versendet wird, eine Steuerpflicht entsteht, muss sich jeder Onlinehändler damit auseinandersetzen, welchem Steuersatz sein Produkt im jeweiligen Mitgliedstaat unterliegt. Die von vielen Mitgliedstaaten voll ausgenutzte Bandbreite der Mehrwertsteuersystemrichtlinie an Steuersätzen macht die Bestimmung des korrekten Steuersatzes im Rahmen der Neuregelung zum 1.7.2021 besonders herausfordernd für den Onlinehandel. Letztlich wird es nur automatisiert möglich sein, EU-weit die Steuersätze über ein eineindeutiges Produktmerkmal wie z.B. die sogenannte Zolltarifnummer zu bestimmen.

Wie läuft die Registrierung für den One-Stop-Shop genau ab und was ist zu tun, wenn man die Anmeldung bis zum 30. Juni versäumt hat?

Anna Heidbüchel (Taxdoo):

Die Registrierung für das One-Stop-Shop-Verfahren erfolgt in Deutschland über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Die Registrierung zum One-Stop-Shop erfolgt nicht unmittelbar über die Website des BZSt, sondern seit dem 01.04.2021 online über ein Portal, über das mit dem BZSt Daten ausgetauscht werden können: Mein BOP. Zum Einloggen wird eine Zertifikatsdatei verlangt. Über diese sollten die meisten Onlinehändler bereits verfügen, wenn diese bereits Nutzer des ELSTER-Portals sind, über das z.B. die (Umsatz-) Steuererklärungen für das Unternehmen ausgefüllt und abgegeben werden können.

Lea-Luisa Blase (eClear):
Lea-Luisa Blase von eClear

Allgemein gilt, dass bis zum Ende eines Quartals die Registrierung zum One-Stop-Shop erfolgt sein muss, um im dann folgenden Quartal über den One-Stop-Shop melden zu können. Registrierungsende für das laufende Quartal wäre der 30. Juni gewesen. Gestern allerdings bestätigte uns das BZSt auf Nachfrage eine Fristverlängerung: Für Händler, die die Registrierung zum 30. Juni 2021 verpasst haben, hat das BZSt ausnahmsweise eine Registrierung bis zum 10. August 2021 zugelassen. D.h. die Händler können sich nun noch bis zu diesem Datum für die Teilnahme am One-Stop-Shop für das 3. Quartal 2021 registrieren. Wenn der Händler dies in Anspruch nimmt, ist es wichtig darauf zu achten, dass er bei der Registrierung nicht „Regelfall“, sondern die Option „erstmalige Leistungserbringung“ gewählt und als Datum der erstmaligen Leistungserbringung der 1. Juli 2021 eingetragen wird. Verpassen Händler auch die Registrierung bis 10. August 2021, können sie den One-Stop-Shop grundsätzlich erst ab dem 4. Quartal 2021, also für Verkäufe ab dem 1. Oktober 2021, in Anspruch nehmen. Faktisch wären damit keine Fernverkäufe im 3. Quartal 2021 möglich (es sei denn, der Händler registriert sich lokal).

In welchem Verhältnis steht der One-Stop-Shop zum früheren Mini-One-Stop-Shop und der “EU VAT Rates Database“?

Annett Schaberich (eClear):

Der One-Stop-Shop ist die Erweiterung des bisherigen Mini-One-Stop-Shop, der für die Meldung von erbrachten elektronischen Dienstleistungen genutzt wurde. Unternehmen, die den Mini-One-Stop-Shop genutzt haben, können automatisch am neuen One-Stop-Shop teilnehmen. Versandhändler, die nun den One-Stop-Shop erstmalig nutzen, müssen sich beim BZSt neu registrieren.

Die von der EU-Kommission veröffentlichte Datenbank „EU VAT Rates Database“ soll eigentlich eine Erleichterung für Händler sein, um ihren Produkten die richtigen Steuersätze zuzuordnen bzw. diese im One-Stop-Shop zu überprüfen. Händler müssen, um die zutreffende Umsatzsteuer in den EU-Ländern für ihre Produkte zu berechnen, die jeweiligen Umsatzsteuersätze kennen. Allerdings haben wir festgestellt, dass die Datenbank der EU nicht dauerhaft aktualisiert und zum Teil fehlerhaft und unvollständig ist. Darüber hinaus kann die Datenbank gültige Ausnahmen und Ermäßigungen nur schemenhaft abbilden, weshalb immer Unsicherheit bzgl. des zu nutzenden Steuersatzes beim Händler verbleibt. Ein Wettbewerbsnachteil für E-Commerce-Händler, die sich auf die Richtigkeit der Angaben verlassen müssen und mit der falsch ausgewiesenen Mehrwertsteuer Kunden verärgern. So wurde beispielsweise die temporäre MwSt.-Reduktion von 19 % auf 16 % für Deutschland in der Datenbank nicht erfasst.

Was empfehlen Sie Händlern und Steuerberatern konkret mit Blick auf die Neuerung des E-Commerce-Pakets?

Annett Schaberich (eClear):

Händler müssen sich mit ihren jeweiligen Verkäufen auseinandersetzen und gemeinsam mit ihrem Steuerberater die Entscheidung treffen, wie sie die Verkäufe zukünftig versteuern. D.h. für viele Händler wird der One-Stop-Shop eine erhebliche Vereinfachung der Meldung von ausländischen Umsatzsteuern bieten. Allerdings gibt es auch viele Händler, die nicht nur über einen eigenen Webshop, sondern auch über Marktplätze verkaufen. Bei Inanspruchnahme spezieller Programme der Marktplätze, bspw. Logistikprogramme, wird der One-Stop-Shop nicht genügen. Die Händler haben darüber hinaus weiterhin die Verpflichtung, sich lokal in EU Staaten umsatzsteuerlich zu registrieren. Aber auch andere Transaktionen, wie Drop-Shipments führen oft zu lokalen Registrierungsverpflichtungen. Daher ist es nun für Händler aber auch für deren Steuerberater notwendig, diese Fragestellungen aktiv in Angriff zu nehmen.

Anna Heidbüchel (Taxdoo):

Neben der Registrierung ist es aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung, dass die Händler sich damit auseinandersetzen, welchen Steuersätzen ihre Produkte in den unterschiedlichen Ländern unterliegen. Hierzu ist es nicht nur notwendig, einmalig die Steuersätze zu bestimmen, sondern auch einen geeigneten Prozess zu etablieren um Steuersatzänderungen, wie wir sie im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Coronakrise gesehen haben, zu identifizieren und entsprechend umzusetzen. Darüber hinaus empfehlen wir sowohl Händlern als auch Steuerberatern, sich automatisierten Compliance-Lösungen zu bedienen.

Inwieweit sind Plattformbetreiber durch das VAT E-Commerce Package betroffen?

Anna Heidbüchel (Taxdoo):

Das ist ein wichtiger Punkt, weil das E-Commerce Package nicht nur für Händler grundlegende Änderungen mit sich bringt, sondern auch für Marktplätze und Plattformbetreiber. Marktplätze und Plattformen werden ab dem 01.07.2021 in bestimmten Fällen in die Lieferkette des Onlinehändlers einbezogen. Das bedeutet, auch wenn ein Vertrag zwischen dem Onlinehändler und dem Endkunden abgeschlossen wird, kann der Marktplatzbetreiber in eine umsatzsteuerlich fingierte Lieferkette einbezogen werden, sodass die Steuerpflicht für den Endverbrauch vom Onlinehändler auf den Marktplatz übergeht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein im Drittland ansässiger Onlinehändler Waren, die sich zum Zeitpunkt der Lieferung in der EU befinden, über einen Marktplatz innerhalb der EU an Endverbraucher verkauft. In diesen Fällen ist der Marktplatz dafür zuständig, die Umsatzsteuer in der richtigen Höhe abzuführen.

Und noch auf Folgendes sei hingewiesen: Die neue Regulatorik verwendet den Begriff „elektronische Schnittstelle“. Daran lässt sich erkennen, dass diese Regelung nicht nur klassische Marktplätze betrifft, sondern jegliches elektronische Portal, das den Abschluss eines Kaufvertrags zwischen dem Onlinehändler und dem Endkunden unterstützt. Hierbei kommt es darauf an, dass die elektronische Schnittstelle die Regeln für die Listung der Produkte auf der Plattform vorgibt und bestimmt, welche Zahlungsmittel auf der Plattform genutzt werden dürfen. Das ist aber nur der Anfang.

Wie unterstützen eClear und Taxdoo die Plattformbetreiber bei diesen neuen Steuerpflichten?

Lea-Luisa Blase (eClear):

An erster Stelle nennen wir hier unsere VATRules. Hierbei handelt es sich um eine Datenbank mit Umsatzsteuersätzen für sämtliche Produkte in allen EU-27 Ländern sowie UK. Logistikunternehmen, Exportspezialisten und E-Commerce-Unternehmen arbeiten heute mit einem 6-stelligen Zollcode. Für EU-Intrastat-Meldungen brauchen Händler jedoch bereits einen 8-stelligen Code. eClear erweitert den 10-stelligen europäischen TARIC um vier weitere Stellen. Alle in der EU geltenden Ausnahmen, Befreiungen, Ermäßigungen sowie Umsatzsteuer- und Zollvorschriften sind hier codiert. Und nur diese Genauigkeit liefert korrekte Steuersatz-Informationen und führt zu korrekten Steueranmeldungen.

Mit den VATRules kommen wir auf mehr als 800.000 Steuercodes inkl. 50.000 Ausnahmen. Diese sind zertifiziert, werden permanent aktualisiert. Einmal zu den Produkten des Händlers zugeordnet, erhält dieser on demand in seiner jeweiligen Systemumgebung die zutreffenden Steuersätze. Das ist einzigartig. Es kommt nicht nur darauf an, dass ein USt-Berechnungsservice angeboten wird. Viel entscheidender ist die Frage nach der Berechnungsgrundlage, also den länderspezifischen Steuersätzen. Diese Genauigkeit ist unser Abgrenzungsmerkmal zur EU VAT Rates Database und anderen Anbietern, die lediglich auf Basis der Zolltarifnummer arbeiten.

Anna Heidbüchel (Taxdoo):

Die Änderungen für Plattformbetreiber führen dazu, dass auch diese auf Transaktionsebene eine korrekte steuerliche Beurteilung sicherstellen müssen, um zu bestimmen, in welchen Fällen die Steuer durch die Plattform selbst abgeführt werden muss. Damit die Plattform die Steuer auch in der richtigen Höhe abführen kann, ist es essenziel, dass die (reduzierten) Steuersätze für die Produkte korrekt bestimmt wurden. In der Praxis wird das schnell sehr komplex, wenn keine Zolltarifnummern vorliegen.

Damit Plattformbetreiber diesen beiden Herausforderungen begegnen können, haben wir bei Taxdoo eine VAT Engine für Marktplätze entwickelt. Mit dieser VAT Engine können Marktplätze auf Transaktionsebene die Steuer und den Steuerpflichtigen (Händler vs. Marktplatz) bestimmen. Zusätzlich wird es Marktplätzen ermöglicht, die Steuersätze der Produkte anhand von Produktmerkmalen EU-weit zu bestimmen. In Deutschland muss im Rahmen der Marktplatzhaftung zudem regelmäßig die Umsatzsteueridentifikationsnummer (UStID) der Händler durch den Marktplatz geprüft werden. Über eine eigene Datenbank mit mittlerweile einer hohen sechsstelligen Anzahl an UStIDs können wir in Echtzeit und sogar rückwirkend einen UStID-Check durchführen, da unsere Datenbank im Gegensatz zum BZST und VIES auch eine Historie der UStIDs enthält.

Wird es zukünftig verstärkt Regelungen geben, die dafür sorgen, dass Marktplätze oder elektronische Plattformen noch stärker in die Steuerpflicht genommen werden?

Anna-Katharina Heidbüchel (Taxdoo):

Ja, aus unserer Sicht zeichnet sich hier ein ganz klarer Trend ab. Das E-Commerce Package und der Einbezug von Marktplätzen in die Lieferkette ist nur der Anfang. Wir werden in den kommenden Jahren sehen, dass immer mehr Steuerpflichten von Onlinehändlern auf Marktplätze und elektronische Plattformen übergehen werden. Sicherlich wird sich hier auch nochmal der Adressatenkreis derjenigen erweitern, die unter eine solche Regelung fallen. Spätestens im Jahr 2023 werden wir im Zuge der DAC7-Richtline sehen, dass elektronische Plattformen dazu verpflichtet werden, umfangreiche personenbezogene und transaktionsbezogene Daten von Händlern auf ihren Plattformen aufzuzeichnen und regelmäßig an die Steuerbehörden zu berichten.