Während in der Kriminalitätsbekämpfung schon seit vielen Jahrzehnten der Fingerabdruck als Beweismittel genutzt wird, dürfte für Steuerhinterzieher zwar weniger ihr persönlicher Fingerabdruck, aber wohl ihr „digitaler Datenabdruck“ zum Fallstrick werden. Steuerhinterziehung ist kein neues Delikt. Allerdings haben sich die Methoden, wie Steuern hinterzogen werden, weiterentwickelt. Wo sich die analoge Steuerhinterziehung größtenteils in der Belegfälschung breit gemacht hat, findet sich die digitale Steuerhinterziehung in der Abschöpfung von Geldern im Internet oder lokal in den Datenverarbeitungssystemen wieder. Für den Staat bedeuten Steuerhinterziehungsstrategien geringere Einnahmen, die dann im Zweifel zu Lasten aller Bürger den Staatshaushalt negativ beeinflussen. Steuerhinterziehung ist und bleibt also ein ernstzunehmendes Problem, dass aktiv bekämpft werden muss. Maßnahmen wie beispielsweise Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) von der OECD sind ein Mittel, um grenzwertigen Steuergestaltungen im großen Stil entgegenzuwirken. Die BEPS-Berichte haben auch Vorschub für die Initiativen Country-by-Country-Reporting (CbCR) und Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (DAC6) geleistet. Die Auswertung der CbCR- und DAC6-Daten wird sicherlich auch bald verstärkt in die Auswahl von Prüfungsfällen und die Definition von Prüfungsschwerpunkten einfließen. Bereits heute werden in der Betriebsprüfung neue Methoden eingesetzt, die dabei helfen, den digitalen Datenabdruck von Steuertricksern erkennen zu können. Im Folgenden sollen verschiedene solcher Ansätze vorgestellt werden.
Daten und Methoden aus der Deskriptiven Statistik sowie der Ökonomie
Nahezu alle Unternehmen verstehen es mittlerweile jegliche Daten im und außerhalb des Unternehmens zu nutzen, um den Profit des Unternehmens zu steigern (bspw. Kundendaten). Allerdings sollte den Unternehmen auch bewusst sein, dass die Finanzverwaltung ebenfalls mit Daten umzugehen weiß. Watrin und Kubata stellten bereits 2014 einen (nicht abschließenden) Katalog zu Methoden zur Anomalieerkennung von Daten auf. Die vorgestellten Methoden zur Aufdeckung von Steuerbetrug fußen alle auf der Annahme, dass Steuerbetrug etwas Abnormales darstellt, also eine Abweichung zur normalen Entwicklung (s. ausführlich BFuP 2/2014, S. 141). Zu diesen Methoden gehören beispielsweise die Analyse von statistischen Kennzahlen, Benford’s Law oder auch die Untersuchung von Book-Tax-Differenzen.
Statistische Kennzahlen
Zu den verwendeten Basics zählen Lage- und Streuungsmaße von Häufigkeitsverteilungen, Konzentrationsmaße und Verhältnis- oder Indexzahlen. So können mit diesen Mitteln Anhaltspunkte zu Auffälligkeiten von Bilanz oder G & V-Konten im Zeitverlauf (innerer Betriebsvergleich) oder im Quervergleich zu Industrie- oder Branchendurchschnitten (äußerer Betriebsvergleich) erarbeitet werden. Bei der Analyse gilt der Blick in Richtung von Niveau, Mittelwert, Varianz und Standardabweichung (wie auch bei der von der Finanzverwaltung angewandten Prüfungsmethodik Summarische Risikoprüfung) der untersuchten Größe. Ferner haben sich die Einsätze von Kovarianzen und Korrelationskoeffizienten bewiesen, um etwa ungewöhnliche Erlösmuster in der Fast-Food-Branche zu identifizieren. Solche statistischen Kennzahlen eignen sich daher sehr gut, um ein Risikomanagement i.S.d. § 88 Abs. 5 AO aufzubauen. Hier können beispielsweise Korrelationen zwischen Steuerpositionen und Einkünften oder Erlösen oder abzugsfähigen Aufwendungen analysiert werden. Abnormitäten in der Datenlage können dann als Indikatoren für manipulative Handlungen herhalten.
Benford’s Law
Das „Gesetz“ beschreibt die Verteilung von Ziffernstrukturen in empirischen Datensätzen. Es handelt sich hierbei um eine theoretische Wahrscheinlichkeitsverteilung, die auf eine Vielzahl von natürlichen Datensätzen, wie zum Beispiel Bilanzdaten, Erlösen, Flusslängen oder Sparguthaben anwendbar ist. Abweichungen steuerlicher Daten von erwarteten Benford`s-Verteilungen können Fehler oder gar Steuerbetrug indizieren. Das muss aber nicht sein. Die Abweichung kann auch durch „normales“ Verhalten des Steuerpflichtigen oder besondere ökonomische Ereignisse erklärbar sein (z.B. betriebliche Besonderheiten in der Lagerführung, Einkaufsverhalten, Saisonale Speisekarte, Biergartensaison, Kapazitätsgrenze, geänderte Öffnungszeiten, …).
Book-Tax-Differenzen
Watrin und Kubata (a.a.O) sehen in der Differenz zwischen dem handelsbilanziellen Gewinn vor Steuern und dem zu versteuernden Einkommen einen weiteren Indikator zur Identifikation von Anomalien. Klar ist, dass sich derartige Differenzen im Regelfall durch Unterschiede bei der handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlung sowie außerbilanzielle Korrekturen erklären lassen. Das Bild wird durch eine Aufgliederung in Einzelposten klarer und ist so zielgerichtet analysierbar. Grundlage sind hier die Elster- und E-Bilanzdaten. So lässt sich eine evtl. aggressive Steuerpolitik erkennen, die für die Betriebsprüfung oder das Risikomanagement nach § 88 Abs. 5 AO interessante Prüffelder mit sich bringen kann.
Forensische Datenanalyse
Kronfeld und Krenzin beschreiben verschiedene Ansätze analytischer Methoden des Forensic Accountings, welches sich mit dem Einsatz von IT gestützten Datenanalyseverfahren beschäftigt (s. ausführlich BFuP 2/2014 S. 125). Bei stetig steigenden Datenmengen in Unternehmen sind solche Verfahren elementar für Betriebsprüfer, da sie eine Aufdeckung von Steuerstraftaten unter Einhaltung der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel in der Betriebsprüfung ermöglichen. Es sind verschiedene Ansätze analytischer Methoden des Forensic Accountings denkbar, von denen ausgewählte hier beleuchtet werden sollen.
Klassifikationsverfahren
Bei diesem Verfahren werden bekannte Daten in manipulierte und korrekte Daten unterteilt. Anhand der Zuordnung der Ausgangsdaten können Unterscheidungskriterien aufgestellt werden, woraus möglichst genaue Modelle abgeleitet werden. Mittels dieser Modelle können nun zu untersuchende Buchführungsdaten einer Gruppe zugeordnet werden, sie werden also klassifiziert. Ein Beispiel sind Künstliche Neuronale Netze (KNN), die ein Informationsverarbeitungssystem aus iterativen Lernschritten abbilden. Das KNN lernt von den Klassifizierungen der Ausgangsdaten, indem eine Neugewichtung anfangs definierter Lernregeln stattfindet. Grob vereinfacht werden Daten in das Modell eingegeben, verarbeitet (durch Erkennung von Mustern und Lerneffekten des Modells) und klassifiziert wieder ausgegeben.
Regelbasierte Datenauswertung
Auch wenn der Einsatz von statistischen Verfahren sehr vielversprechend zur Aufdeckung von Steuerhinterziehung ist, können Unregelmäßigkeiten auch durch Aufbereitung (Schichtung, Sortierung, Filterung) relevanter Unternehmensdaten auffallen. Neben der Duplikatsanalyse (es wird nach Übereinstimmungen in Buchungseigenschaften gesucht) und der Lückenanalyse (es wird nach fehlenden Einträgen gesucht), gibt es auch die Stammdatenanalyse, bei der nach Auffälligkeiten in den Stammdaten gesucht wird. Diese und weitere Verfahren gehen im Wesentlichen immer davon aus, dass bilanzrechtliche Vorschriften dazu führen, dass Buchungsdaten auf eine ganz bestimmte Weise vorliegen müssen, wenn sie korrekt sind. Abhängig vom Verfahren werden manipulierte Daten ausfindig gemacht, indem Unregelmäßigkeiten erkannt werden.
Psychologie und Steuerstraftaten
Zur Aufdeckung von Steuerstraftaten lohnt es sich neben der Statistik noch in weitere Felder zu schauen. So können auch Instrumente der forensischen Aussagepsychologie und der verhaltensorientierten Glaubhaftigkeitsbeurteilung bei der Überführung von Steuerhinterziehern von Nutzen sein (s. ausführlich Kühne und Grottke in BFuP 2/2014, S. 158). Im Rahmen der forensischen Aussagepsychologie gilt es, erklärte Steuern und Aussagen des Steuerpflichtigen auf Homogenität mit den im Unternehmen vorhandenen Daten zu prüfen. In großen Unternehmen kann dafür besonders gut auf interne Dokumentationen zurückgegriffen werden. Hierzu zählt auch der E-Mail-Verkehr zwischen Kollegen und auch ihren Vorgesetzten, der im Rahmen einer Betriebsprüfung durchaus interessant für die Prüfer werden kann. Außerdem können Vertragsdaten mit Lieferanten herangezogen werden, um die Aussagehomogenität zu prüfen.
Ein entscheidendes Signal für Täuschungsversuche ist der geringere Detailierungsgrad von Sachverhalten im Vergleich zu wahren Geschehnissen. Das bedeutet, dass der Detailierungsgrad von Belegen und Dokumentationen im Zusammenhang mit Sachverhalten oder auch ungenaue Bezeichnungen von Konten einen Aufschluss darüber geben können, ob ein Täuschungsversuch und somit Steuerhinterziehung vorliegen könnten. Allerdings ist es von Nöten, dass ein Betriebsprüfer ein ausgeprägtes Verständnis dafür hat, in welchen Situationen welcher Detailierungsgrad als „normal“ zu beurteilen ist.
Des Weiteren kann auch das Verhalten des Steuerpflichtigen selbst darüber Aufschluss geben, ob dieser eine Falschaussage tätigt/getätigt hat. Beispielsweise unterscheiden Kühne und Grottke (a.a.O) bei den Instrumenten der verhaltensorientierten Glaubhaftigkeitsbeurteilung zwischen der strategischen Selbstdarstellung und unbewussten Verhaltensänderungen. Im Rahmen der Untersuchung der strategischen Selbstdarstellung gilt es beispielsweise darauf zu achten, ob Betroffene durch die Nennung von übermäßig vielen irrelevanten Details eine Verwässerungstaktik fahren. Bei unbewussten Verhaltensänderungen kann beispielsweise auf das Merkmal der Distanzierung geachtet werden. Ein Täuschender wird unterbewusst eine Distanz zu der begangenen Straftat aufbauen. Dies wird erkennbar, wenn Selbstreferenzen („ich“, „mich“, etc.) bei Erläuterungen fehlen.
Ziel all dieser psychologischen Ansätze soll es nicht sein, Falschdarstellungen nachzuweisen, sondern vielmehr den Betriebsprüfern weitere Instrumente zu bieten, um Anhaltspunkte für Täuschungsversuche zu bekommen. In diesem Zusammenhang sollte auch noch erwähnt werden, dass die genannten Instrumente durchaus auch mithilfe von Softwareunterstützung eingesetzt werden können und in diesem Sinne auch für Massensachverhalte geeignet sind.
Hintergrund und Ziel neuer Prüfungsmethoden
Seien es die Forensische Datenanalyse, die Methoden aus der deskriptiven Statistik, Ansätze aus der Psychologie oder auch weitere neue Prüfmethoden die hier nicht genannt wurden, alle haben sie zum Ziel, die Betriebsprüfung heute und in der Zukunft effizienter zu gestalten und gleichzeitig erfolgreich Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Dafür werden die Unternehmensdaten auf verschiedene Weise unter die Lupe genommen. Auch wenn Steuerhinterzieher sich aufgrund des immer größer werdende Datenmeers im Unternehmen in Sicherheit wägen, sei ihnen gesagt, dass Unregelmäßigkeiten ähnlich wie ein Fingerabdruck bestimmten Mustern folgen, die mit den richtigen Methoden schnell aufgedeckt werden können.
Auch wenn alle Verfahren ihre Berechtigung haben, muss doch noch erwähnt werden, dass die Auswahl und der Einsatz der verschiedenen Verfahren durchaus auf die entsprechende Situation abgestimmt werden muss. Beispielsweise sehen Kronfeld und Krenzin (a.a.O.) das Klassifikationsverfahren als besonders geeignet für die anfängliche Einschätzung des Risikos für Fehler und Verstöße in einer Prüfung. Darüber hinaus sollen alle vorgestellten Verfahren unterstützend in der Betriebsprüfung verwendet werden, um Hinweise zu sammeln, aber nicht um bekannte Prüfschritte wie beispielsweise die Einzelfallprüfung zu ersetzen.