Die Frage nach dem Umgang mit digitalen Kassen- und Buchführungsdaten nimmt in steuerlichen Außenprüfungen immer mehr Raum ein. In jüngerer Zeit wird dabei von Vertretern der Finanzverwaltung zunehmend auf die sog. „Verfahrensdokumentation“ verwiesen. Anlass ist Tz. 151 der GoBD, die die Erstellung einer Verfahrensdokumentation für alle im Unternehmen verwendeten Datenverarbeitungssysteme, die im Zusammenhang mit elektronischen Büchern und sonst erforderlichen Aufzeichnungen stehen, verlangen. Dazu solleine allgemeine Beschreibung, Anwenderdokumentation, technische Systemdokumentation und Betriebsdokumentation und eine Beschreibung aller Betriebsabläufe i.R.d. Datenverarbeitung gehören. Konkrete Anforderungen an eine „richtige“ Verfahrensdokumentation ergeben sich aus den GoBD selbst nicht. Im Betriebsprüfungsalltag besteht auch aus diesem Grund das nicht zu unterschätzende Risiko, dass sich die Prüfer auf die Einhaltung der Anforderungen der GoBD an eine ausreichende Verfahrensdokumentation fokussieren und aus rein formalen Beanstandungen eine Schätzungsbefugnis ableiteen, ohne die Bedeutung eines Fehlens oder einer – aus Sicht der Prüfer – ungenügenden Verfahrensdokumentation darzulegen und einzelfallbezogen zu gewichten.
Es mag zutreffend sein, dass eine Verfahrensdokumentation für den Außenprüfer den Einstieg in die Prüfung erleichtert und sich so Aufgriffsrisiken reduzieren lassen. Diese Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Verfahrensdokumentation ist aber von der Frage zu unterscheiden, ob eine gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung und Vorlage einer Verfahrensdokumentation besteht. Nur im Fall einer gesetzlichen Verpflichtung kann aus einer fehlenden Verfahrensdokumentation ein Verwerfen der Buchführung und eine Schätzungsbefugnis hergeleitet werden, denn eine Schätzungsbefugnis setzt die Verletzung einer Rechtsnorm voraus (BFH-Urteil v. 20.03.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743).
Die GoBD als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift als solche sind für die Gerichte nicht bindend, weshalb eine „Subsumtion“ unter die GoBD im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nicht erfolgen wird (vgl. hierzu auch Peters, DB 2018, S. 2846). Gerichtlicher Prüfungsmaßstab sind die steuerlichen und außersteuerlichen gesetzlichen Buchführungsvorschriften. Die Überprüfbarkeit der Inhalte und der Ordnungsmäßigkeit steuerrelevanter digital erstellter Buchführungsunterlagen setzt dabei selbstverständlich die Kenntnis der Programmierung und der Funktionsweise des eingesetzten Datenverarbeitungssystems voraus. Für den BFH gehören deshalb die Betriebsanleitung sowie die Protokolle nachträglicher Programmänderungen bei einem programmierbaren Kassensystem zu den gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtigen „sonstigen Organisationsunterlagen“ (BFH-Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl II 2015, 743 und BFH-Urt. v. 25.3.2015 –BFH X B 65/17, BFH/NV 2018, 517). Auf der Basis dieser Rechtsprechung kann eine Dokumentation für solche Datenverarbeitungssysteme gefordert werden, die steuerrelevante Daten aufzeichnen. Diese Dokumentation muss das Verständnis des Dateninhalts sowie eine systematische Prüfung der Daten ermöglichen („Spielanleitung“). Einer umfassenden Beschreibung sämtlicher Betriebsabläufe im Zusammenhang mit der Buchführung und Belegablage bedarf es hingegen nicht. Insbesondere fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für eine Verfahrensdokumentation (so auch Brete, DStR 2019, S. 258 ff.; a.A. Hruschka, DStR 2019, 260.). Ein so weitereichender Eingriff in die unternehmerische Organisation mit der möglichen Rechtsfolge einer Erschütterung der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 158 AO bedürfte einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage. § 145 AO reicht hierfür in seiner Allgemeinheit nicht aus (vgl. hierzu auch Peters, DB 2019, M4-M5). Ohnehin wäre eine vorhandene Verfahrensdokumentation in der Betriebsprüfung ohne Abgleich mit den tatsächlichen Betriebsabläufen ein bloßer „Papiertiger“. Eine Verfahrensdokumentation kann deshalb allenfalls den Einstieg in die Prüfung erleichtern, nicht aber die umfassende Prüfung der tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse des Unternehmens, die die steuerliche Außenprüfung zum Ziel hat, ersetzen.