Wie viel „KI“ ist sinnvoll in der Steuerberatung/-prüfung?

Buchungsautomaten, algorithmengestützte Risikoselektion, musterbasierte Textanalyse wie bei den „Panama Papers“, „semantische Analyse von steuerrechtlichen Texten“ (Weber, taxtech.blog v. 13.2.2019) zur automatisierten Rechtsprüfung – die Digitalisierung/Vernetzung durchdringt zunehmend auch die Steuerberatung und -prüfung. Eines ist klar: Ohne digitale Hilfsmittel sind Steuerberatung sowie -prüfung nicht mehr zeitgemäß effektiv und effizient möglich!

In diesem Zuge ist die Marketingmaschinerie der „künstlichen Intelligenz“ heiß gelaufen: Permanent und scheinbar widerspruchslos wird uns eingetrichtert, dass die weitest mögliche Automatisierung der Steuerberatung und -prüfung mittels „KI“ deutlich leistungsfähiger ist als die bisherigen Arbeitsweisen – und deshalb alternativlos. Versuche und Studien erzielen verblüffende Ergebnisse, wenn 20 Anwälte während einer durchschnittlichen Prüfungsdauer von mehr als 1,5 Stunden in 5 Verträgen 85 % der 30 versteckten rechtlichen Probleme gefunden haben, während eine Textanalyse-Software für 94 % nur 26 Sekunden benötigte (https://www.haufe.de/recht/kanzleimanagement/legal-tech-steht-der-anwalts-roboter-schon-vor-der-tuer_222_445476.html). Zweifelsohne bieten digitalisierte Arbeitsprozesse auch in der Steuerberatung und -prüfung ein sehr großes Verbesserungspotential. Offen bleibt allerdings die Frage, ob „KI“ leistungsfähiger ist als ein anwendergestützter Softwareeinsatz.

Allein die Tatsache, dass der Mensch die „KI“ erfunden hat, sollte zur Zurückhaltung mahnen. Aus physiologischer Sicht kommt hinzu, dass die Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns chaotisch-assoziativ abläuft und sich somit von der strukturierten Datenanalytik wesentlich unterscheidet. Durch „KI“ wird der Mensch zum unselbständigen Konsumenten degradiert, wodurch seine Stärken „Intuition“ und Erfahrung“ nicht mehr angemessen zum Einsatz kommen können.

An dieser Stelle nehmen die (Finanz-)Verwaltungen eine bedeutende Rolle ein: Da hier die Arbeitsplatzverhältnisse stabiler sind, ergeben sich bessere Möglichkeiten, aussagekräftige Ergebnisse zu der Frage „wie viel ‚KI‘ ist sinnvoll in der Steuerprüfung?“ zu erarbeiten. In dem langjährigen Projekt „Summarische Risikoprüfung (SRP)“ (Handbuch unter: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/B/betriebspruefung_digital/Summarische_Risikopruefung.html) sind mehrere Tausend PrüferInnen aus fast allen Bundesländern auf der Basis grundlegenden Methodenwissens und einer stringenten Prüfungssystematik mit Hilfe von maßgeschneiderten Hilfsmitteln (SRP-Vorlagen und allgemein anwendbare Visualisierungsansätze) auf eine zeitgemäße Prüfungsweise umgestellt worden, bei der weiterhin sie die Entscheidungen treffen. Die Erfahrungen sind äußerst umfangreich, betreffen den Prüfungseinstieg ebenso wie die Abarbeitung bestimmter Prüffelder in allen Branchen und Größenbereichen und haben fortlaufend zur Verbesserung des Schulungs- und Prüfungskonzepts beigetragen. Dabei zeigt(e) sich bspw. im Bereich der „Verrechnungspreisprüfung“, dass einzeldatenbasierte Visualisierungen der prüfungsrelevanten Beziehungen oft in kurzer Zeit wesentlich klarere Entscheidungsgrundlagen herausarbeiten als bisher.

Besonders verwirrend ist in diesem Zusammenhang, dass der SRP von vereinzelten Kritikern Intransparenz vorgeworfen wird. Tatsächlich sind die Auswahlgründe für die verwendeten Methoden, deren Anwendung und mehrperspektivische Vernetzung, um keine relevanten Details zu übersehen, vollständig nachvollzieh- und reproduzierbar – im Gegensatz zur „KI“. Auch unterstützt die SRP eine möglichst weitreichende gemeinsame Sachaufklärung sowie eine transparente Dokumentation der Arbeitsweisen und Ergebnisse. Insgesamt ist zu befürchten, dass der Siegeszug der „KI“ dazu führt, dass sich die Datenanalytik in der Wirtschaft und Beratung immer mehr zur „Black Box“ entwickelt, wohingegen die zunehmende Verbreitung der SRP in den deutschen und einigen ausländischen Finanzverwaltungen die Transparenz in der unübersichtlichen digitalen Beratungs- und Prüfungswelt klar fördert.

Dass eine weitreichende Personalumstellung auf digitale Arbeitsweisen ein sensibler Prozess ist, dürfte aus der viel zitierten „Innovation Adoption Curve“ von Rogers bekannt sein und ist sicher schon in etlichen Unternehmen schmerzvoll erlebt worden. Die großen Ängste, die mit grundlegenden Veränderungen der Arbeitsplätze verbunden sind, münden zu einem nicht unbedeutenden Teil in hochemotionale Ablehnungsreaktionen (sog. 16 % „Laggards“). Auch in der Politik ist inzwischen erkannt worden, dass Personalumstellungen auf „digitales Arbeiten“ deshalb weit umfangreichere strukturelle Maßnahmen verlangen als ein paar zusätzliche IT-Kurse: Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des Deutschen Bundestages (https://www.bundestag.de/ausschuesse/weitere_gremien/enquete_bb).

Im aktuellen Beitrag (DB 2019, 1707) setzen Prof. Dr. Giezek (Hochschullehrer an der FOM in Frankfurt für „quantitative Methoden“ und Sachverständiger in der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des Deutschen Bundestages) und ich mich mit der Frage „‘KI‘ vs. anwendergelenkten Softwareeinsatz“ etwas intensiver auseinander und hoffen darauf, dass die (Finanz-)Verwaltungen ihre besondere Rolle in diesem fundamentalen Wandel der Gesellschaft und Wirtschaft begreifen.