Die „Blockchain“ fordert das Recht heraus. Kryptographisch verknappte digitale Werte warten mit den damit verbundenen Geschäftsmodellen auf ihre rechtssichere Einordnung – im Bankaufsichts- und Kapitalmarktrecht, im Bilanzrecht, im Gesellschaftsrecht, im Zivilrecht und im Steuerrecht. Neue Geschäftsmodelle provozieren traditionsreiche Marktteilnehmer und staatliche Instanzen. Elektronische Währungssubstitute, unter ihnen Libra und Bitcoin, nagen am Währungsmonopol des Staates, während Smart Contracts dessen Gewaltmonopol in Frage stellen. Supranationale Regelsetzer, nationale Gesetzgeber und Verwaltungsbehörden suchen nach einem überzeugenden ordnungspolitischen Rahmen und dem Ort der Regulierung transnationaler Unternehmungen. Diese wollen auf die ordnende Hand der Nationalstaaten teilweise verzichten und erhoffen sich einen „Regulatorischen Reset“. Die Idee hat durchaus ihren Reiz, auf der grünen Wiese, im Sandkasten einer vermeintlich noch regelfreien neuen Dimension der Distributed Ledger-Technologien (DLT), bestehende Rechtsstrukturen zu hinterfragen und neu anzulegen. Rechtsunsicherheiten und ein bereichsspezifischer Wettbewerb der Rechtsordnungen weisen zumindest im Bank- und Kapitalmarktrecht auf gesetzgeberischen Handlungsbedarf hin. Im Steuerrecht ist dieser Handlungsbedarf bisher zurückhaltend diskutiert worden. Besteht er überhaupt?
Technologieneutralität des Steuerrechts
Das deutsche, europäische und internationale Ertrag-, Erbschaft- und Umsatzsteuerrecht sind grundsätzlich technologieneutral angelegt. Neue Geschäftsmodelle lassen sich mit den bestehenden Regeln im inneren und äußeren System des Steuerrechts erfassen. Im Zusammenhang mit Krypto-Assets und Blockchain-Anwendungen referierte Rechtsunsicherheiten sind in der kleinsten Zahl technologiebezogen oder neu. Einzelfragen der subjektiven Steuerpflicht (Subjektqualifikation, Ansässigkeit, Identifikation inländischer Einkünfte), der Einkünftequalifikation (gewerbliche versus private Vermögensverwaltung, Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften, aus Kapitalvermögen oder aus sonstigen Leistungen) und der Einkünfteermittlung (steuerbilanzielle Behandlung auf der Aktiv- und Passivseite, Anwendung des FiFo-LiFo-Verfahrens, Nämlichkeit in den Varianten einer Hardfork und die Anwendung des Zuflussprinzips bei der Überschussermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG) sind nicht blockchainspezifisch. Mit der steuerjuristischen („wirtschaftlichen“) Betrachtungsweise und dem weiten Begriff des Wirtschaftsguts lässt sich dies alles ohne gesetzliche Anpassungen verarbeiten. Das Zivil- und Kapitalmarktrecht tun sich in den körperlichen Kategorien der „Sache“ und des „Wertpapiers“ deutlich schwerer.
Blockchain als „Kontrastmittel“ für Systembrüche im Steuerrecht
Wo sich im Steuerrecht im Zusammenhang mit der Blockchain Fragen stellen, deuten sie auf Systembrüche hin. Im Ertragsteuerrecht sind Veräußerungsgewinne aus Fremdwährungen, anders als solche aus Schuldverschreibungen, die auf Fremdwährungen lauten, Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften. Sie unterliegen nicht der Abgeltungsteuer, sondern dem Regelsteuersatz und der kurzen Spekulationsfrist. Das gilt dann auch für Krypto-Währungen, unabhängig davon, ob sie, wie Bitcoin im Umsatzsteuerrecht, als Währung zu qualifizieren sind. Token können Genussrechte bezeichnen, die wiederum willkürlich nach äußeren Merkmalen dem Eigen- und Fremdkapital zugeordnet werden. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist ebenso wenig blockchainspezifisch wie die Unsicherheit über die Abgrenzung der gewerblichen Produktion und des gewerblichen Handels von und mit Krypto-Assets von der privaten Vermögensverwaltung. Bewertungsvereinfachungsverfahren, wie FiFo oder LiFo, finden in einem ewig fortgeführten unveränderbaren Transaktionsregister, in dem der Weg jedes einzelnen Krypto-Assets vermischungsfrei für immer nachvollzogen werden kann, ohnehin keinen Raum. Der Befund nicht blockchainspezifischer Rechtsunsicherheiten lässt sich beliebig erweitern und dennoch lässt sich aus ihm nicht schlussfolgern, dass es keinen blockchainbezogenen Handlungsbedarf gibt. Ein altes Problem ist nämlich durch die Transnationalität der Blockchain gewachsen. In ihr potenzieren sich grenzüberschreitende Qualifikationskonflikte.
Abstimmungs- und Forschungsbedarf im Internationalen Steuerrecht
Qualifikationskonflikte führen zu Doppelbesteuerung oder doppelter Nichtbesteuerung. Das eine trägt nicht zu Wohlfahrtsgewinnen bei, das andere greift den Gleichheitssatz an und ist zudem sowohl für den Rechtsfrieden als auch für die Steuermoral abträglich. Bezogen auf offene Fragen empfiehlt sich daher die Einrichtung von Arbeitsgruppen in den nationalen Verwaltungen, sowie bei der Europäischen Union und der OECD und endlich die Ausschreibung von Forschungsprojekten für einen vom Erfolg einzelner Geschäftsmodelle unabhängigen Adressatenkreis. Das kostet Geld, kann sich aber als lohnende Investition erweisen. Rechtssicherheit senkt die Risiken für neue Geschäftsmodelle und fördert damit Investitionen in zukunftsweisende Technologien. Der notwendige Abstimmungs- und Forschungsbedarf kann exemplarisch in verschiedenen Einzelfragen umschrieben werden.
Einzelfragen der Subjekt-, Einkünfte- und Umsatzqualifikation
In der Blockchain lassen sich Interessen in einem Netz nicht personalisierter Teilnehmer verbinden. Im deutschen Privatrecht kann sich dahinter eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder ein nichtrechtsfähiger Verein verbergen. Die Konsequenzen im Gesellschaftsrecht sind überschaubar, im Steuerrecht aber gravierend. Im Ertragsteuerrecht kann die Einordnung einer Decentralised Autonomous Organization als nicht rechtsfähiger Verein oder als GbR über Körperschaftsteuerpflicht oder transparente Besteuerung entscheiden. Das kann, wie die Einkünftequalifikation in grenzüberschreitenden Sachverhalten, zu Qualifikationskonflikten führen. Solche Konflikte entstehen auch, wenn keine Einigkeit über die Ansässigkeit besteht. Trotz technischer Dezentralität lassen sich für die meisten Geschäftsmodelle handelnde Personen identifizieren und deren Ansässigkeit bestimmen. Es muss aber Konsens über die Regeln bestehen. Die mit Blick auf mögliche Zurechnungskonflikte vorgeschlagene besondere Kategorie einer „E-Person“ ist im Steuerrecht ebenso abzulehnen, wie im Zivilrecht. Im Umsatzsteuerrecht wird die Einordnung von Token als Entgelt, Gutschein, Lieferung oder sonstige Leistung vorzunehmen sein. Dazu ist kein Handeln des Gesetzgebers erforderlich, aber Einigkeit unter den Beteiligten.
Durchsetzung von Rechtsanwendungsgleichheit
Ebenfalls auf alte Fragen verweist die vieldiskutierte Problematik, in der Blockchain das geltende materielle Steuerrecht durchzusetzen. Hier zeigen sich der eigentliche rechtspolitische Handlungsbedarf und die Chancen der neuen Technologien. Zur Vermeidung eines strukturellen Vollzugsdefizits und zur Gewährleistung der Rechtsanwendungsgleichheit ist zu entscheiden, ob national und grenzüberschreitend die Wege des automatischen Informationsaustausches oder des Steuerabzugs ausgebaut werden sollen. Distributed Ledger-Technologien (DLT) könnten grenzüberschreitend auch das Rubik-Modell wieder als sinnvolle Option erscheinen lassen, bei dem datensparsam der Steuerabzug an der Quelle vorgenommen und das Steueraufkommen zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt wird. Für den Bereich der Umsatzsteuer werden seit langem Modelle unter Einbeziehung von DLT diskutiert, die Betrugsgestaltungen unterbinden würden. In Smart Contracts ließe sich sowohl ein Tax Split als auch ein automatisches Meldewesen integrieren.
Vermeidung von Umgehungsgestaltungen
Generell sollten neue Technologien den Gesetzgeber veranlassen, über prinzipienorientierte Regelsetzung nachzudenken. Regelorientierte Ansätze werden Umgehungsgestaltungen auch bei Anwendungen der Blockchaintechnologie ermöglichen. In der Grunderwerbsteuer wird die Tokenization, die Vermittlung von Sachwerten durch Treuhandgestaltungen und die Handelbarkeit von wirtschaftlichen Anteilen auf Krypto-Börsen, neben Share Deals auch Token Deals ermöglichen. Überlegungen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer werden neue Wege für Finanztransaktionen zu reflektieren haben. Regelorientierte Ansätze werden mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten können und ihren Vorteil größerer Rechtssicherheit in kurzer Zeit einbüßen.
Technologieförderung
Geschäftsmodelle der Blockchain beruhen auf der Idee eines offenen, dezentralen Registers. Das schließt es denknotwendig aus, einen Registerführer oder einen „Träger“ der Blockchain zu bestimmen. Dieser Vorzug führt aber auch zu der Frage, wer die Blockchain-Infrastruktur zur Verfügung stellen sollte und wie Investitionen und der Betrieb finanziert und gefördert werden könnten. Gegenwärtige Projekte profitieren noch von Forschungsförderung und privates Engagement von der steuerlichen Begünstigung einer Förderung der Allgemeinheit in Gestalt der Förderung von Wissenschaft und Forschung. Der dauerhafte Betrieb einer öffentlichen Blockchain-Infrastruktur wird sich nur schwer darunter subsumieren lassen. Deshalb wird man über neue Wege nachdenken müssen, diese öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Denkbar wäre eine Erweiterung des Katalogs steuerlich geförderter gemeinnütziger Zwecke, denkbar wäre aber auch jenseits der im Gemeinnützigkeitsrecht bereits bestehenden Förderung von Wissenschaft und Forschung, den initialen Aufbau einer öffentlichen Blockchain-Infrastruktur im Wirtschaftsressort zu verorten und für den Fortbestand auf die Kräfte des Marktes zu vertrauen. Einer Monopolbildung wäre durch staatliche Regulierung der neuen Netze zu begegnen. Handlungsbedarf im Steuerrecht bestünde dann nicht.
Resümee
Das geltende Steuerrecht ist der Blockchain gewachsen. Es ist technologieneutral, für neue Geschäftsmodelle offen und kann mit den durch Blockchain-Anwendungen gestalteten transnationalen Sachverhalten umgehen. Wo Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht, ist dieser selten blockchainspezifisch. Wo Rechtsunsicherheiten bestehen, fordern diese nicht den Gesetzgeber, sondern die Verwaltung und die internationalen Koordinationsräume heraus. Nur im Vollzug besitzen Blockchaintechnologien für das Steuerrecht Neuigkeitswert. Dort sollten die Vollzugsrisiken reflektiert, aber auch ihre Chancen genutzt und über lange diskutierte Möglichkeiten ihres Einsatzes etwa im Umsatzsteuerrecht nachgedacht werden. Die Einzelfragen adressieren die Verwaltung, die Beratungspraxis und die Steuerrechtswissenschaft, später auch die Rechtsprechung. Sie sollten durch den Gesetzgeber nicht technologiebezogen beantwortet werden. Offen bleibt die Frage der Förderung der neuen Technologien über das bestehende Gemeinnützigkeitsrecht und bestehende Instrumente der Forschungs- und Wirtschaftsförderung hinaus. Für eine Erweiterung des Katalogs der gemeinnützigen Zwecke um den Betrieb einer Blockchain-Infrastruktur sind erst noch die Argumente zu sammeln.