Bereits Ende 2018 nutzten 22 von 30 DAX-Konzernen die 2017 von Amazon gelaunchte B2B-Plattform Amazon Business im Rahmen ihrer Beschaffung.
Um Akzeptanz für diese neue Plattform zu schaffen, bedient sich Amazon der mit Abstand größten automatisierten Umsatzsteuer-Logik im E-Commerce in Europa – zumindest in Bezug auf die darüber abgewickelte Anzahl der Transaktionen.
Diese Logik – der sogenannte Amazon Umsatzsteuer-Berechnungsservice – beinhaltet jedoch noch einige Schwachstellen, welche wir im Rahmen dieses Blogposts diskutieren wollen.
Warum Amazon-Händler ihre Umsatzsteuer-Compliance in die Hände von Amazon legen (müssen)
Bei einem Großteil von vermeintlichen Amazon-Lieferungen tritt nicht Amazon selbst als Verkäufer auf. Der Internetriese stellt häufig lediglich die eigenen Plattformen (amazon.de, amazon.fr, amazon.it, …) zur Verfügung und tätigt dadurch Vermittlungsleistungen für viele hunderttausend Online-Händler in Europa. Hinzu kommen bei Bedarf auch Logistikdienstleistungen – das sogenannte Fulfillment by Amazon (FbA).
Das bedeutet, dass für einen Großteil der Umsätze auf den Amazon-Marketplaces der einzelne Online-Händler für die Abwicklung der Umsatzsteuer-Compliance verantwortlich ist. Da Amazon den Händlern zunehmend höhere finanzielle Anreize setzt, FbA-Strukturen im EU-Ausland zu verwenden, stellt das eine große Herausforderung dar.
Viele kleine und mittelgroße Versandhändler können per Knopfdruck dank Fulfillment by Amazon auf EU-weite Logistikstrukturen zurückgreifen, wie sie vor wenigen Jahren nur großen Handelskonzernen zur Verfügung standen. Sie übersehen aber häufig, dass sie weiterhin die Steuerabteilung eines Handelskonzern benötigen, wenn sie damit Steuerpflichten in häufig sechs oder mehr EU-Staaten auslösen.
Das folgende Beispiel verdeutlicht das Problem anhand lediglich eines Warenlagers im EU-Ausland. Im Rahmen von FbA kommt es jedoch häufig zur Nutzung von Amazon-Lagern in sechs weiteren EU-Staaten.
Beispiel Amazon Fulfillment-Center in Polen: Lieferungen an Endverbraucher (B2C) werden im Bestimmungsland versteuert, wenn die Lieferschwelle überschritten oder ein Verzicht erklärt wurde.
Diese Komplexität führt dazu, dass auf den Amazon-Marketplaces, welche zunächst reine B2C-Marktplätze sind, ein großer Anteil der Rechnungen für grenzüberschreitende Lieferungen falsch sind. Die Rechnungstools und ERP-Systeme im Online-Handel können diese Komplexität – wenn überhaupt – nur durch umfangreiche Voreinstellungen abbilden.
Damit der Einkauf über Amazon Business für den Käufer nicht zur Vorsteuerfalle wird und damit die Akzeptanz für diese neue Plattform untergräbt, musste Amazon von Beginn an den Marktplatz-Händlern die Umsatzsteuer-Compliance weitgehend aus der Hand nehmen.
Amazons Umsatzsteuer-Berechnungsservice
Amazon-Händler, welche ihre Produkte über Amazon-Business verkaufen wollen, mussten zu Beginn zwingend den sogenannten Umsatzsteuer-Berechnungsservice (im Folgenden: Berechnungsservice) aktivieren. Dieser berechnete automatisch für jede Transaktion die Umsatzsteuer und erstellte auch die Rechnung. Die Logik dafür hat Amazon bei einem Dienstleister aus den USA eingekauft.
Mittlerweile ist die Nutzung des Berechnungsservices nicht mehr obligatorisch. Allerdings sind die Nachteile der Nicht-Nutzung so groß (z.B. keine Anzeige von Netto-Preisen), dass nach unseren Erhebungen bis zu 90 Prozent der Amazon Business-Händler diesen Service weiterhin aktiviert haben.
Anhand der folgenden drei bzw. vier Klassen grenzüberschreitender Transaktionen wollen wir die Schwachstellen dieser automatisierten Umsatzsteuer-Logik darstellen, welche fast ausschließlich Risiken für den Verkäufer in sich bergen.
(Hinweis: Die folgenden Betrachtungen basieren auf dem Leistungsspektrum des Umsatzsteuer-Berechnungsservice, wie es in der Dokumentation vom 29. November 2018 definiert ist.)
Vier Klassen von grenzüberschreitenden Lieferungen im Online-Handel
Lieferungen an Endverbraucher: Keine Abbildung von Lieferschwellen
Warum sind bei der Aktivierung des Amazon Umsatzsteuer-Berechnungsservice auch Lieferungen an Endverbraucher betroffen?
Die Antwort ist: Wenn der Berechnungsservice für Amazon Business aktiviert wird (bzw. faktisch aktiviert werden muss), dann greift er für alle Amazon-Transaktionen – also auch für Transaktionen über die herkömmlichen Amazon B2C-Marketplaces.
Bei grenzüberschreitenden Lieferungen an Endverbraucher bestimmt sich der Ort der Lieferung nach der sogenannten Versandhandelsregelung (z.B. § 3c UStG in Deutschland). Überschreiten dabei die (Netto)Umsätze in einen bestimmten EU-Staat die sogenannte Lieferschwelle – mit der Ausnahme von vier EU-Staaten sind das 35.000 Euro bzw. ein Äquivalent in der Landeswährung – verlagert sich der Ort der Lieferung in das Bestimmungsland.
Der Berechnungsservice kann eine derartige Überwachung nicht abbilden. Es wird daher immer die Annahme getroffen, dass die Lieferschwelle eines bestimmten EU-Staates als überschritten gilt bzw. als optiert gilt, wenn der Händler eine UStID-Nr. des jeweiligen EU-Staates in seinem Amazon-Account hinterlegt hat.
Diese Vorgehensweise führt in der Praxis häufig zu falschen Ergebnissen. Warum?
- Das Vorliegen bzw. Gültigkeitsdatum einer UStID-Nr. im EU-Ausland wird häufig aufgrund des Registrierungsprozesses in den meisten EU-Staaten nicht mit dem genauen Zeitpunkt der Lieferschwellenüberschreitung übereinstimmen.
- Es besteht zwar nach EU-Recht die Möglichkeit, von Beginn an auf die Anwendung der Lieferschwellen zu verzichten, sodass man Amazons rigides Bestimmungslandprinzip über diesen Weg abbilden könnte. Allerdings regelt das jeweilige nationale Verfahrensrecht das Prozedere des Verzichtes. Amazon weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass der Berechnungsservice nationale Ausnahmen nicht abbilden kann, wie der folgende Auszug aus der Dokumentation vom 29. November 2018 zeigt.
- Das führt z.B. für viele deutsche Händler, welche ihre Produkte in den stark frequentierten Amazon-Lagern in Polen lagern, zu falschen Ergebnissen.
- Das polnische Verfahrensrecht sieht vor, dass ein Lieferschwellenvericht schriftlich erklärt werden muss. Nach Eingang der Erklärung beim Finanzamt (Warschau Mitte) greift eine Sperrfrist von 30 Tagen.
- Für diese Händler ist die deutsche UStID-Nr. aber zwingend standardmäßig im Amazon-Account hinterlegt, sodass Lieferungen aus Polen an deutsche Endverbraucher mit deutscher Umsatzsteuer abgerechnet werden. Im worst case führt das zu einer (temporären) Doppelbesteuerung von grenzüberschreitenden Lieferungen: in Polen und Deutschland.
Lieferungen an Unternehmen: Rechtssicherheit nur für den Käufer
Der ursprünglichen Intention, der automatisierten umsatzsteuerlichen Bewertung von B2B-Transaktionen über Amazon-Business, kommt der Berechnungsservice grundsätzlich nach.
Nationale Besonderheiten wie z.B. das lokale Reverse-Charge-Verfahren im Sinne des Artikels 194 Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL), wie es in der folgenden Grafik abgebildet ist, wäre für die meisten Rechnungstools und ERP-Systeme kaum abbildbar.
Deutsche Online-Händler, welche ihre Produkte aus den Amazon-Fulfillmentcentern in Frankreich, Spanien oder Italien heraus an Unternehmen verkaufen, dürfen gem. Art. 194 MwStSystRL keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen, da der Abnehmer diese schuldet (Reverse-Charge), wenn er in dem jeweiligen Staat steuerlich registriert ist.
Der Berechnungsservice prüft jedoch lediglich die Unternehmereigenschaft anhand der UStID-Nr. des Käufers – nicht die steuerliche Erfassung in diesem Staat.
So werden beispielsweise auch Lieferungen eines deutschen Online-Händlers aus einem französischen Fulfillment-Center an einen Käufer mit spanischer UStID-Nr. fälschlicherweise dem Reverse-Charge-Verfahren unterworfen, wenn diese Lieferung an eine französische Adresse erfolgt.
Für einen Großteil dieser und ähnlich gelagerter Fälle dürfte die Umsatzsteuer daher vermutlich nie abgeführt werden.
Die sachgerechte Verwendung der UStID-Nr. des Käufers ist aktuell die größte Schwachstelle. Dabei sollte das der Hauptanwendungsfall sein.
Online-Händler aus Deutschland, welche signifikant grenzüberschreitende Lieferungen über Amazon-Business tätigen, dürften regelmäßig Post vom Bundeszentralamt für Steuern erhalten, weil ihre Zusammenfassenden Meldungen (ZM) ungültige UStID-Nummern enthalten.
Der Grund dafür ist, dass der Berechnungsservice die Gültigkeit der UStID-Nr. des Abnehmers nicht regelmäßig – schon gar nicht vor jeder Transaktion – prüft, wie es in der Dokumentation vom 29. November 2018 auch klargestellt wird.
Es kommt erschwerend hinzu, dass Abnehmer aus Italien und Spanien sogar mit ihrer nationalen Steuer- oder gar Handeslregisternummer einkaufen können.
Dass deutsche Online-Händler in diesen Fällen ihren Compliance-Pflichten gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff UStDV – insbesondere der Aufzeichnung der gültigen ausländischen UStID-Nr. – nicht nachkommen können, ist offenkundig.
Aktuell lassen sich eventuelle Nachversteuerungen – z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung – noch mit Verweis auf die laufende EuGH-Rechtsprechung (u.a. EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15) abwehren. Demnach stellt die UStID-Nr. des Abnehmers kein materielles Tatbestandmerkmal einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen dar.
Das wird sich zum 01.01.2020 mit dem Greifen der sogenannten Quick Fixes jedoch EU-weit grundlegend ändern.
Lieferungen ins Drittland: Besser nicht in die Schweiz
Lieferungen ins Drittland erfasst der Berechnungsservice richtig als steuerfreie Ausfuhrlieferungen. Dabei werden auch Sonderwirtschaftszonen wie z.B. die Kanarischen Inseln berücksichtigt.
Nach unseren aktuellen Erkenntnissen bildet der Berechnungsservice die neue Versandhandelsregelung, welche die Schweiz zum 01.01.2019 eingeführt hat, nicht ab.
Danach würde sich unter bestimmten Voraussetzungen der Ort von Lieferungen in die Schweiz auch in die Alpenrepublik verlagern und dort regelmäßig zu steuerpflichtigen Lieferungen führen.
Ermäßigte Steuersätze: Fast aber nicht ganz
Eine der größten Herausforderungen im grenzüberschreitenden Online-Handel in der EU ist die Abbildung von ermäßigten Umsatzsteuersätzen.
Man nehme als Beispiel einen deutschen Kaffeehändler, der seine Lieferungen nach Frankreich in Frankreich versteuern muss. Er hat in Frankreich die Wahl zwischen drei ermäßigten Steuersätzen: 2,1%, 5,5 % und 10%. Wählt er den niedrigsten Steuersatz, hinterzieht er im schlimmsten Fall Umsatzsteuer. Wählt den höchsten ermäßigten Steuersatz, besteht diese Gefahr nicht, aber er verzichtet auf Marge. (Hinweis: Die Wahrheit liegt in diesem Fall in der Mitte.)
Der Berechnungsservice bietet für diese Fälle eine umfangreiche umsatzsteuerliche Klassifizierung, welche der Händler manuell vornehmen muss. Mittlerweile können darüber auch umsatzsteuerliche Exoten wie z.B. Malbücher für Erwachsene (Standardsteuersatz) oder Kinderkleidung (Nullsteuersatz in einigen EU-Staaten) manuell hinterlegt werden.
Für einen Großteil der Produkte im Online-Handel funktioniert diese Systematik recht robust – aber nicht für alle.
Große Versand-Apotheken mit einen breitem Spektrum an Nahrungsergänzungsmitteln – einem im Online-Handel boomenden Produktsortiment – können über diese Eingruppierung keine sichere Eintarifierung vornehmen. Bei dieser Produktklasse bestimmt u.a. die Zusammensetzung des Produktes den Steuersatz – insbesondere die Frage, ob ein ermäßigter oder ein Standardsteuersatz greift.
Eine rechtssichere Ermittlung des korrekten Steuersatzes für jeden EU-Staat ist automatisiert grds. über die Zolltarifnummer des jeweiligen Produktes möglich. Eine solche Lösung bietet der Berechnungsservice allerdings nicht an.
Fazit
Amazons Umsatzsteuer-Berechnungsservice kann bereits zahlreiche grenzüberschreitende Transaktionen korrekt automatisiert abbilden.
Allerdings macht es sich Amazon in vielen Fällen zu einfach. So liegt z.B. das Risiko der ungültigen UStID-Nr. des Käufers ausschließlich beim Verkäufer. Spätestens zum 01.01.2020 muss hier zwingend nachgebessert werden, da mit dem Greifen der Quick Fixes ansonsten erhebliche finanzielle Risiken für die Verkäufer eintreten würden.
Darüber hinaus ist das Ignorieren nationaler verfahrensrechtlicher Besonderheiten nicht zu rechtfertigen, kann es doch im worst case zur Doppelbesteuerung grenzüberschreitender Transaktionen führen.
Aus technologischer Sicht wären die genannten Schwachstellen der größten Umsatzsteuer-Logik in der EU mit Sicherheit zu lösen.