Wie verändern digitale Geschäftsmodelle das Wirtschaftsleben und welche Steuerkonsequenzen sind hieraus zu ziehen?
Um diese Kernfragen ging es am 8. Dezember 2017 beim 5. Symposium des Bundesfinanzministerium zur Internationalen Steuerpolitik. Hintergrund für die Einberufung des Symposiums durch Herrn Kreienbaum (Leiter der Unterabteilung IV B) ist die auf EU-Ebene geführte Debatte über die Besteuerung der Digital Economy. Die EU-Kommission wurde insbes. von den EU-Finanzministern aufgefordert, für das Frühjahr 2018 einen Vorschlag zur Besteuerung der Internetkonzerne im „Marktstaat“ zu erarbeiten. Vereinfacht zusammengefasst wollen die „Digital-Importeure“ in der EU am digitalen Steueraufkommenskuchen teilhaben, der gegenwärtig ganz überwiegend den Digital-Exporteuren (insbes. USA, China) vorbehalten ist. So ist es über die traditionellen Mechanismen des Internationalen Steuerrechts gegenwärtig nicht möglich, den jeweiligen „importierenden“ Marktstaaten bspw. über eine Betriebsstätte substanzielles Steuersubstrat zuzuweisen. Auch Innovationen und daraus erwachsene Geschäftspotenziale sind regelmäßig dem Stammhaus zuzurechnen, mithin auch im Staat des Digital-Exporteurs zu versteuern. Im Fokus der Debatte steht eine sog. Equalisation Tax, teils auch als GAFA-Tax (Google-Amazon-Facebook-Apple) bezeichnet, über die im Marktstaat eine umsatzbasierte Besteuerung bspw. von Werbeeinnahmen der Internet-Konzerne (zum „Ausgleich“ der Niedrigbesteuerung im Marktstaat) ermöglicht würde.
Boom digitaler Geschäftsmodelle: Wer die Plattform und die Daten hat, hat die Macht!
Prof. Dr. Martin Gersch (Freie Universität Berlin) stellte an Praxis- und Forschungsfällen eindrucksvoll dar, welche Evolutionsstufen der Digitalisierung zu beobachten sind und welchen Wert Nutzerdaten haben. Am Beispiel der Pharmagroßhändler veranschaulichte er Ablaufverbesserungen und Wertkettenintegrationen, durch die Apotheken binnen weniger Stunden aus einem Sortiment von über 120.000 Pharmaartikeln bestückt werden können. Möglich wird dies durch eine umfassende Datenauswertung auch unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (z.B. Wetter, Jahreszeit und Marktgerüchte als Indikatoren). Die schnelle Verfügbarkeit von Medikamenten oder bspw. die Zustellung von bei Amazon bestellten Artikeln hat schon viele von uns verblüfft. Die Branchentransformation als weitere Stufe der Digitalisierung beschrieb er am Beispiel der Musikindustrie, die nach der Erfindung des Mp3-Formats einen fundamentalen Wandel erfahren hat, weil Musik hierdurch für jedermann verfügbar wurde, ohne dass es eines Verlegers (Universal etc.) als Vermarkter der Künstler mehr bedurft hätte. Mittlerweile dominieren Online-Plattformen wie iTunes und Streamingdienste wie Spotify, die die klassischen „Majors“ zunehmend unter Druck setzen und möglicherweise substituieren werden. Die Online-Musikdienstleister tracken die Musikvorlieben ihrer Nutzer, genauso wie Amazon das Kaufverhalten analysiert. Aus diesen Daten lassen sich ganz hervorragend Kaufinteressen und maßgeschneiderte Werbung ableiten, weshalb der Handel mit diesen Nutzerdaten floriert. Die Branchenkonvergenz als weitere Entwicklungsstufe sei dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund der Digitalisierung keine klare Zuordnung zu einer Branche möglich sei, da Produkt- und Digitaldienstleistungen zunehmend miteinander verschmelzen. So könne am Beispiel von Tesla nachvollzogen werden, dass hier neben dem elektrobetriebenen Automobil ein entgeltliches Onlinedienstleistungsangebot für den Teslafahrer im Vordergrund steht. Auch die deutschen Automobilkonzerne springen auf diesen Zug auf. Fahrverhalten, Reiseziele und Musikgeschmack werden im Auto gespeichert und über die Onlineverbindung des Autos an die Server der Hersteller gesendet, die diese Daten ebenfalls kommerzialisieren werden (z.B. für Mobilitätsservices wie dynamische Umgehungsrouten bei Staus). Für die traditionelle Wirtschaft stellen die über das Internet für jeden Endkunden erreichbaren Online-Plattformen eine zentrale Herausforderung dar, weil hierdurch globale Monopol- oder Oligolpotsituationen entstehen können, deren Marktmarkt so gewaltig ist, dass etablierte Branchen – insbesondere Intermediäre und Dienstleister – wegsubstituiert werden könnten. Darüber hinaus geraten auch etablierte Industriekonzerne unter Druck, wenn es ihnen nicht gelingt, über SmartTech und Connectivity eine starke und nachhaltige Kundenbindung zu erzeugen.
Rollende 3D-Drucker-Betriebsstätte
Das Beispiel der Automobilhersteller griff auch Prof. Dr. Deborah Schanz (Ludwig-Maximilians-Universität München) in ihrem Vortrag mit einem Zitat von Herbert Diess (VW-Vorstand) auf, dass das Auto ein „digitalisierter Internetknoten“ werde (Handelsblatt Interview, 30.11.2017). Der Frage, wo die Wertschöpfung im Digitalen Zeitalter stattfinde, ging sie am Beispiel der „Speedfactory“ von Adidas nach. Das dahinterstehende Konzept bindet den Turnschuhträger onlinebasiert in die Entwicklung des Schuhs (Design und Funktionalität) mit ein. Mittels 3D-Druck kann der Schuh schnell und in Kundennähe produziert werden, sodass ein hochindividuelles Produkt innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung steht. Der Produktionsprozess kann von unterschiedlichsten Dienstleistern ausgeführt werden – es wird mit Amazon sogar eine „Driving Factory“ erprobt. Eine rollende Betriebsstätte also, was das Steuerherz gerade in grenznahen Regionen höher schlagen lässt. Adidas benötigt hierfür keine eigenen Produktionsstätten. Die Produktion ist Routinefunktion und bedarf bei zunehmender Roboterisierung immer weniger Personal. Die Innovationskraft und damit der zentrale Wertschöpfungsbeitrag findet bei Adidas im Headquarter statt. Dieses Beispiel zeige auf, dass sich im Zeitalter der Digitalisierung die Wertschöpfung von den Produktions- und Vertriebsstätten verstärkt zum Stammhaus/Headquarter verlagert, weil hier die Ideen für innovative digitale Geschäftsmodelle entstehen. Für das internationale Steuerrecht stellt sich in diesem Zusammenhang die Herausforderung nach der sachgerechten Gewinnaufteilung zwischen dem Staat, in dem die Idee für das Geschäftsmodell entstanden ist, und dem Staat, in dem das Produkt oder die Dienstleistung produziert oder nachgefragt wird. Der OECD-Approach, nach dem die Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach den sog. „Significant People Functions“ erfolgt, erweist sich im Industrie 4.0-Zeitalter aufgrund einer tendenziell geringen Anzahl von „People“ bzw. mangels starker physischer Präsenz nicht zielführend – jedenfalls aus Sicht des Betriebsstättenstaats. Betrachtet man die Weltkarte der Big Digital Player wird deutlich, dass die USA vor Asien mit Abstand vorne liegen und Europa abgeschlagen ist. Da läuten auch im Finanzministerium die Alarmglocken, weil diese Verteilung der Innovationskraft auch ein Vorbote für die Verteilung des zukünftigen internationalen Steuerkuchens sein mag. Zudem fallen Werbeeinnahmen, die über Anzeigen auf bspw. deutschen Domains erzielt werden, regelmäßig in Niedrigsteuerländern wie Irland an, wenn dort der Werbevertrag geschlossen wurde. Aus fiskalischer Sicht liegt es da nahe, über neue Anknüpfungspunkte für die Ertragsbesteuerung der Digital Economy nachzudenken (s.u.). So könnte der Besteuerungszugriff bei einer virtuellen Betriebsstätte anknüpfen, deren Gewinnanteil entsprechend der (deutschen) Nutzer (z.B. eines Social Networks oder einer Domain) abgegrenzt wird. Dass eine derartige Gewinnaufteilung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, haben die Diskussionen um BEPS Action Point 1 gezeigt, dessen Überlegungen zur Besteuerung der Digital Economy noch nicht umgesetzt wurden (für 2020 plant die OECD einen finalen Bericht mit weiteren Vorschlägen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft; ein Zwischenbericht ist für das erste Halbjahr 2018 geplant). Prof. Schanz skizzierte darüber hinaus den Handel mit Daten als modernes Besteuerungsproblem. Neben dem generellen Problem des Anknüpfungspunktes für die Besteuerung, stellt sich die Frage der Bewertung von Daten, wenn diese nicht unmittelbar bspw. durch „maßgeschneiderte“ Werbeanzeigen monetarisiert werden, sondern der entgeltlose Datenaustausch zwischen verschiedenen Unternehmen im Vordergrund steht. Wie sind die getauschten Daten für Besteuerungszwecke dann zu bewerten?
Zwingen neue Technologien zur Änderung des Besteuerungssystems?
Diese Frage warf Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön (Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen)eingangs seines Vortrags über „Steuerliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen digitaler Geschäftsmodelle“ auf. Er sieht gegenwärtig weder die Notwendigkeit für eine Veränderung des Besteuerungssystems noch hält er die Einführung einer GAFA-Tax für erforderlich. Aufgrund sprudelnder Steuereinnahmen bestehe schon keine fiskalische Notwendigkeit und außerdem sei es seiner Meinung nach wirtschaftspolitisch kontraintuitiv die Digital Economy mit einer „Strafsteuer“ zu belegen, wo man hierin doch den Wirtschaftsmotor der Zukunft sieht. Eine Sondersteuer wäre höchstwahrscheinlich mit Doppelbesteuerung im Betriebsstätten- und Stammhausstaat verbunden, die für globale Wirtschaftsakteure wachstumsschädlich ist. Er rief zur sachlichen Beobachtung der weiteren Entwicklung und rechtlichen Prüfung auf, bevor fiskalische „Schnellschüsse“ gewagt würden. Eine Quellensteuer bspw. auf Zahlungen eines Werbekunden von Google, Facebook & Co. würde aller Voraussicht nach auf den Werbekunden überwälzt, weshalb letztlich nicht das das Werbegeld vereinnahmende Unternehmen (Google & Co.) belastet würde, sondern das Unternehmen, das die Anzeige platziert. Bevor die vermeintlich falschen Wirtschaftsakteure bestraft würden, sollte man sich über das Umsatz- und Ertragsteueraufkommen freuen, das seit Jahren nicht zuletzt auch wegen digitaler Geschäftsmodelle wachse. Er empfahl eine prinzipienbasierte Analyse und Lösungsfindung für die neuen Fragen der Besteuerung der Digital Economy. Bei der Gewinnverteilung zwischen den Staaten sollte seines Erachtens auch eine Rolle spielen, wie viel von dem Unternehmen im jeweiligen Land investiert wurde und wieviel Erlöse dem investierten Kapital zugerechnet werden könne.
Hoher politischer Druck zur Einführung einer GAFA-Tax
Ob eine GAFA-Tax Sinn macht, war auch Schwerpunkt der von Herrn Kreienbaum (BMF) geleiteten anschließenden Paneldiskussionen mit Prof. Dr. Christian Dorenkamp (Deutsche Telekom AG), Dr. Reimar Pinkernell (Flick Gocke Schaumburg), Fritz Esterer (WTS) und Dr. Christian Schleithoff (BMF).
Prof. Dorenkamp ist sich sicher, dass eine GAFA-Tax der deutschen Wirtschaft schaden würde und das steuerliche Mehraufkommen dazu in keinem Verhältnis stünde. Sollte Deutschland neue Geschäftsmodelle mit einer Sondersteuer bestrafen, würden dies die anderen Staaten, in die deutsche Unternehmen exportieren, ebenfalls tun. Deutschland stehe wie kaum ein anderer Staat für „Industrie 4.0“, die in besonderem Maße auch die Exportstärke der deutschen Wirtschaft treibe. Gegenmaßnahmen der ausländischen Fiski – sozusagen als Antwort auf eine deutsche Sondersteuer – würden der deutschen Wirtschaft schaden. Zudem wieß er darauf hin, dass eine Grundgesetzänderung erforderlich sei, und man hier die Frage zu klären habe, wie sich eine Sondersteuer in das System von Ertrag- und Umsatzbesteuerung einzufügen habe.
Dr. Pinkernell stimmte Prof. Schön zu, dass eine Sondersteuer, die als Quellensteuer auf Werbegelder eines Werbekunden, der auf einer Onlineplattform Anzeigen schaltet, sehr wahrscheinlich vollständig auf den Werbekunden überwälzt werden würde. Die Marktmacht der großen Digital Player und die Attraktivität der Plattformen für Werbeanzeigen sei so groß, dass die Werbekunden auch höhere Werbegelder, d.h. Werbegeld zzgl. Sondersteuer, zahlen würden. Eine Sondersteuer in Form einer Quellensteuer auf Werbegelder lehnt er deshalb ab. Des Weiteren ging Dr. Pinkernell auf das Thema „Bezahlen mit Daten“ ein. Die Bewertung des ökonomischen Vorteils von Nutzerdaten, deren Verwertungsrechte sich bspw. Internet-Unternehmen wie Facebook als Gegenleistung für die Bereitstellung von Onlinediensten sichern, um diese auszuwerten und ggf. an andere Unternehmen zu verkaufen oder gegen andere Daten zu tauschen, sei praktisch schwierig. Er plädierte dafür, nicht jegliche Form des Datenaustauschs zu besteuern, sondern dies mit Augenmaß zu tun. Nicht jeder private Onlinenutzer könne als „Datenhändler“ besteuert werden. Entsprechendes müsse auch im B2B-Bereich gelten, wenn die getauschten Daten ggf. keinen Wert hätten, bspw. weil sie datenschutzrechtlichen Verwertungsbeschränkungen unterlägen.
Dr. Schleithoff betonte die politische Zielvorgabe, dass eine dauerhafte Niedrigbesteuerung von Internetkonzerne wie Google, Amazon & Co. von den EU-Mitgliedsstaaten dauerhaft nicht akzeptiert würde. Von deutscher Seite wolle man die Diskussion begleiten, aber keinen Sonderweg einschlagen oder zusätzliches Öl ins Feuer der Diskussion gießen. Er erkannte an, dass die Einführung einer GAFA-Tax mit verfassungrechtlichen Hürden verbunden wäre und Differenzierungen erforderlich seien (u.a. B2B/B2C, EU/Nicht-EU). Eine kurzfristige Lösung präferiert er wohl nicht. Für sinnvoller bewertete er eine Lösung des „Problems“ über eine Gemeinsame (Konsolidierte) Körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage (GKB/GKKB), in die neue Mechanismen zur Besteuerung der Digital Economy integriert werden könnten („virtuelle Betriebsstätte“), und über die eine Verteilung des Steueraufkommens auf die EU-Mitgliedsstaaten u.a. nach Maßgabe von Umsatzerlösen möglich wäre.
Weitere steuerpolitische Entwicklung offen
Im Frühjahr 2018 wird die EU-Kommission einen Entwurf zur Besteuerung der Digital Economy vorlegen. Nach gegenwärtiger Einschätzung scheint eine Equalisation Tax nicht unwahrscheinlich. Mit der Equalisation Tax würden bspw. die Werbeeinnahmen eines Internet-Konzerns mit einem pauschalen Quellensteuersatz belegt; die Steuer wäre vom Werbekunden für Rechnung des Internet-Konzerns abzuführen. Dagegen ist mit einer Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und eine Abkehr vom „People-Function-Approach“ eher nicht zu rechnen. Dies hat sich bereits auf OECD-Ebene als nicht konsensfähig erwiesen (s. BEPS-Action-Point 1). Wie sich die (noch zu findende) Bundesregierung zu alledem positionieren wird, ist ebenfalls unklar. Angesichts der Äußerungen der Vertreter des BMF beim 5. Symposiums besteht eine „leise“ Hoffnung, dass sich Deutschland nicht zum „Rädelsführer“ der GAFA-Tax-Debatte mausern möchte.