Der Koalitionsvertrag der „Ampel“ aus taxtech-Sicht (Teil I)

Deutschland auf dem Weg zur Ampel

Am 24. November 2021 hat die sog. Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. An verschiedenen Stellen des 178-Seiten starken Vertrages äußert sich „die Ampel“ zu steuerlichen Themen. Der Beitrag bewertet die Ampel-Pläne mit steuerlichem Bezug – sei es in Form von bloßen Absichtserklärungen oder konkreten Einzelvorschlägen – aus taxtech-Sicht.

Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens

Es verwundert nicht, dass in einer Koalition unter FDP-Beteiligung Digitalisierungsthemen verstärkt im Fokus stehen. Im Steuerbereich wirken sich Digitalisierungsthemen insbesondere im Bereich des Besteuerungsverfahrens aus.

Entsprechend führen die Koalitionsparteien aus (Koalitionsvertrag, S. 166, Rn. 5630–5634): „Durch digitale Verfahren soll die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die Bürgerinnen und Bürger erleichtert werden, wie zum Beispiel durch vorausgefüllte Steuererklärungen (Easy Tax). Wir werden daher die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens konsequent weiter vorantreiben und dafür sorgen, dass steuerliche Regelungen grundsätzlich auch digital umsetzbar sind. Unser Ziel ist es, das die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung digital möglich ist.

Der letzte Satz steht für die Kernaufgabe und das Kernanliegen des vermutlich FDP-geführten Finanzministeriums. Sämtliche Vorhaben des Koalitionsvertrages mit Blick auf die Digitalisierung der Besteuerung werden sich daher an dem Ziel messen lassen müssen, ob dadurch die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung digital ermöglicht wird. Insbesondere der Servicecharakter der Finanzverwaltung rückt stellenweise in den Fokus. In eine ähnliche Richtung geht auch die Position des IDW über steuerpolitische Vorhaben für die kommende Legislaturperiode (vgl. IDW Positionspapier, Steuerpolitische Ziele 2021 bis 2025 vom 29.11.2021, S. 13 f.).

Weiterentwicklung der vorausgefüllten Steuererklärung zu „Easy Tax“

Dieses Ziel spielt insbesondere bei dem Vorhaben „Easy Tax“ mit rein. Der Gedanke einer einfachen (vorausgefüllten) Steuererklärung ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit war die „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ Gegenstand des Wahlkampfs. Dank des technischen Fortschritts dürfte das Smartphone den Bierdeckel abgelöst haben.

In der Folge bietet es sich als Reformziel an, die Steuererklärung via Smartphone abzugeben. Die FDP hat dazu bereits einen Vorschlag gemacht, der jedoch noch weiter geht. Im formulierten Zielbild handelt es sich um eine Steuererklärung, die nur noch seitens des Steuerpflichtigen zu bestätigen ist. Als Basis dienen die Daten, die der Finanzverwaltung bereits im Rahmen der vorausgefüllten Steuererklärung vorliegen. Insofern wird für eine Weiterentwicklung der vorausgefüllten Steuererklärung (vaSt) zu „Easy Tax“ plädiert. Kernanliegen der „Easy Tax“ ist aber damit nicht nur die Vereinfachung der Erfüllung der steuerlichen Pflichten, sondern die Weiterentwicklung des Systems als digitalen Service der Finanzverwaltung für die Mehrheit der Steuerzahler (vgl. Vorschlag von Toncar, Gastbeitrag auf FOCUS-Online vom 23.10.2020).

Vorantreiben der Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens

Unklar ist, was die Koalitionsparteien damit meinen, wenn sie „die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens konsequent weiter vorantreiben“ wollen. Daraus ließen sich vielseitige Vorhaben oder Projekte ableiten. Denkbar sind Verbesserungen in der automationsgestützten Veranlagung aber auch die Schaffung der digitalen Kommunikation zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltungen.

Digitale Umsetzung von steuerrechtlichen Regelungen

Des Weiteren möchte die Ampel-Koalition „dafür sorgen, dass steuerliche Regelungen grundsätzlich auch digital umsetzbar sind“. Diese Aussage stellt stark auf die Verknüpfung des Steuerrechts mit der entsprechenden Technik ab. In diesem Zusammenhang sind zwei Ausgestaltungen denkbar. Einerseits wäre es denkbar, dass mit der digitalen Umsetzbarkeit der steuerlichen Regelungen insbesondere das steuerliche Verfahrensrecht gemeint ist, weil die vollständige digitale Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung ein erklärtes Ziel der Koalitionsparteien ist.

Andererseits lässt sich aus der „digitalen Umsetzbarkeit von steuerlichen Regelungen“ auch die Erarbeitung von „digitaltauglichen Steuergesetze“ ableiten. Der Begriff der digitaltauglichen Steuergesetze meint dabei einen Steuergesetzestext, welcher den Willen des Gesetzgebers möglichst so präzise zum Ausdruck bringt, dass eine automationsgestützte Subsumption des Lebenssachverhalts ermöglicht wird. Problematisch dabei könnten aber insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe sein, von denen das Steuerrecht nicht gerade wenige kennt. Im Status Quo wird ein Algorithmus eine (fehlerfreie) Subsumption von Daten unter einem unbestimmten Rechtsbegriff nicht ohne Weiteres bewerkstelligen können. Es fehlt an einer Übersetzung der Sprache des Rechts in digitale Formate.

Möglichkeiten zur positiven Beeinflussung einer digitaltauglichen Steuergesetzgebung wurden im Laufe des Jahres vorgestellt. Hervorzuheben sind insbesondere die Vorschläge des Normenkontrollrates (NKR) zum digitaltauglichen Recht sowie der NEGZ-Studie Nr. 19 zur Digitalisierung der Gesetzgebung. Insbesondere der NKR schlägt vor, ein „Data Dictionary“ sowie ein darauf aufbauendes „Data Repository“ zu schaffen. Während das „Data Dictionary“ Begriffe und die entsprechenden Datenquellen beschreibt, soll das „Data Repository“ die technische Datenstruktur definieren und Begriffsdefinitionen in Datenfelder übersetzen. Zu diesem Themenkomplex und welches Potenzial diese Vorschläge auf die Ausgestaltung des Steuerrechts haben kann, wird an dieser Stelle auf den Blogbeitrag vom 09.07.2021 Digitaltaugliche Steuergesetze als Kern der Digitalisierung des Steuerrechts verwiesen.

Modernisierung & Beschleunigung der Steuerprüfung – Neuer Versuch für einen allgemeinen Datenstandard?

Ein weiteres Anliegen der neuen Bundesregierung ist die Modernisierung & Beschleunigung der Steuerprüfung im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag (Koalitionsvertrag, S. 166, Rn. 5636–5638): „Im Bereich der Unternehmensbesteuerung ist es uns ein Anliegen, die Steuerprüfung zu modernisieren und zu beschleunigen. Dafür setzen wir uns insbesondere für verbesserte Schnittstellen, Standardisierung und den sinnvollen Einsatz neuer Technologien ein.

Auf den ersten Blick scheint fraglich, was die Koalitionsparteien mit einer Modernisierung und Beschleunigung der Betriebsprüfung unter Einsatz von verbesserten Schnittstellen und Standardisierung meinen. Aufmerksame Leser des taxtech.blogs werden bestimmt direkt an den einheitlichen Datenstandard (Standard Audit File for Tax [SAF-T]) denken, dessen gescheitere gesetzliche Implementierung in § 147b AO-E im Rahmen des JStG 2020 hier im Blog schon thematisiert wurde (s. Blogbeitrag vom 28.05.2021 Update zur FiBu-Schnittstelle der Finanzverwaltung; Blogbeitrag vom 05.10.2020 Kommt nun doch der allgemeine Datenstandard im Jahressteuergesetz 2020?).

Gegenwärtig beeinflussen umfangreiche und zeitintensive Datenaufbereitungen im Vorfeld von Betriebsprüfungen deren zeitliche Effizienz, da die von den geprüften Unternehmen überlassenen Daten nicht standardisiert sind. Ein einheitlicher Datenstandard würde diesen Aufwand deutlich reduzieren. Zudem entstehen damit Potentiale, um die Effektivität und Effizienz von Betriebsprüfungen durch den Einsatz von IT-gestützten quantitativen Betriebsprüfungsmethoden zu erhöhen.

Perspektivisch betrachtet führt an einem einheitlichen Datenstandard im Sinne von Mindestvorgaben für die Datenstruktur sowie für die Dateninhalte kein Weg vorbei, sofern die neue Bundesregierung einer zeitnahen, effizienten und IT-gestützten Betriebsprüfung den Weg ebnen möchte. Bei einem solchen Vorhaben sei den Ampel-Parteien zu raten, die im Rahmen der versuchten Einführung des § 147b AO-E erfolgetn Fehler nicht zu wiederholen.

Modernisierung der Betriebsprüfung steht auch bei den Verbänden auf der Agenda

Das IDW hat sich mit einem am 29. November 2021 veröffentlichten Positionspapiers ebenfalls für eine Reform der Betriebsprüfung ausgesprochen. Das vom IDW vorgeschlagene Modell der veranlagungsnahen Betriebsprüfung gliedert sich in mehrere Bestandteile, wozu insbesondere ein Antrag des Steuerpflichtigen gehört. Zusätzlich wird vorausgesetzt, dass

  • der Steuerpflichtige seine Steuererklärung frühzeitig abgeben hat,
  • Steuerloyalität gegeben ist (durch keine steuerstraf- oder -ordnungswidrige Verfehlungen sowie rechtzeitige Leistung von Steuerzahlung in den letzten fünf Jahren),
  • steuerrelevante Daten i.R.d. Z3-Zugriffs überlässt und
  • ein wirksames Tax CMS dokumentiert hat.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat Pläne zur Modernisierung der Betriebsprüfung vorgestellt (siehe auch die Positionierung des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV) zum entsprechenden BDI-Webtalk).

Zentrale Organisationseinheit zur Sicherung der Anschlussfähigkeit der Steuerverwaltung

Des Weiteren soll eine zentrale Organisationseinheit die Anschlussfähigkeit der Steuerverwaltung sicherstellen (Koalitionsvertrag, S. 166, Rn. 5638–5640): „Zur Sicherung der Anschlussfähigkeit der Steuerverwaltung an den digitalen Wandel und für eine spürbare Verringerung der Steuerbürokratie wird eine zentrale Organisationseinheit auf Bundesebene eingerichtet.

Es ist zu begrüßen, dass die Koalitionsparteien eine zentrale Organisationseinheit schaffen wollen, welche die technische Transformation der Steuerverwaltung sicherstellen soll. Aus dieser zentralen Organisationseinheit heraus könnten dann verschiedenste Projekte der Finanzverwaltungen der Länder koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Zugleich besteht auch die Möglichkeit, dass diese zentrale Organisationseinheit länderspezifische Modellprojekte zur Digitalisierung im Steuerbereich im Hinblick auf deren Eignung für den bundesweiten Einsatz evaluiert. Insoweit hat dieses Vorhaben das Potenzial die digitale Transformation der Finanzverwaltung erheblich zu begleiten.