Die Modernisierung der Betriebsprüfung – Wege die zum Ziel führen könn(t)en…

Einleitung 

Die Außenprüfung ist das Instrument zur gleichmäßigen Steuerfestsetzung und zur Sicherung des Steueraufkommens. Daher kann das vielseitig bespielbare Instrument in Pandemiezeiten nicht einfach im Instrumentenkoffer stehen bleiben. Gleichwohl ist es immer wertvoll, bestehende Prozesse zu reflektieren und diese für die Zukunft zu optimieren. Vielleicht ist dafür der passende Zeitpunkt gekommen. 

Forderung der Bundessteuerberaterkammer 

Mit E-Mail vom 29. Januar 2021 übersandte die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) einen Vorschlagkatalog zur Modernisierung der Betriebsprüfung an das Bundesministerium der Finanzen (BMF).

Status Quo

Lt. BStBK binden lang andauernde Außenprüfungen Personal, Zeit und finanzielle Ressourcen. Zudem führen langwierige Prüfungen zu Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung und bei erfolgten Personalwechseln dazu, dass sich in Altprozesse hineingedacht werden muss. Ebenso „schwebe“ der Zinssatz von marktunüblichen 6 % p.a. über der ggf. zu entrichtenden Steuernachzahlung. 

Betrachtet man die Betriebsprüfungsstatistik für das Jahr 2019 finden sich 181.345 geprüfte Betriebe aller Betriebsgrößenklassen wieder. Das entspricht einem Anteil von 2,2 % der dort aufgeführten Betriebe (8.225.244). Rein statistisch gesehen könnte jeder Betrieb durch eine Außenprüfung betroffen sein. Mangels Personal oder technisch-automatisierter Prüfmechanismen jedoch nicht gleichzeitig. Folglich gilt es allen 8,2 Mio. Betrieben Aufmerksamkeit zu schenken. 

Ziele

Die Vorschläge der BStBK haben das Ziel, Betriebsprüfungen planbar, verbindlich und zeiteffizient verlaufen zu lassen. Das Ganze unabhängig von der Betriebsgrößenklasse (= Kleinstbetriebe bis zu Konzernen). 

Der Weg zum Ziel

Aus dem Vorschlagskatalog der BStBK:

  • Prüfungszeiträume sind näher an das aktuelle Wirtschaftsjahr zu führen
  • Verkürzung von Festsetzungs- und Aufbewahrungsfristen und der Ablaufhemmung
  • Höchstdauer für Betriebsprüfungen 
  • Optimierung der verbindlichen Zusage gem. § 204 AO
  • Verpflichtende Mitwirkung des Steuerpflichtigen 
  • Punktuelle Bestandskraft
  • Anpassungen sollen zu einer Win-win-Situation führen
  • Etwaiger Missbrauch muss von vornherein ausgeschlossen werden
  • Erläuterungspflicht von Prüfungsergebnissen, insbesondere IT-gestützter, statistisch-mathematischer Prüfverfahren
  • Kooperative anstatt konfrontative Prüfungen (Klima)

Worauf es ankommt…

  • Kooperative anstatt konfrontative Prüfungen (Klima)

Der für mich wichtigste Punkt in Außenprüfungen ist das Klima und die Forderung nach Kooperation, nicht nach Konfrontation. Von Zeit zu Zeit höre ich, dass irgendeine prüfende Person womöglich übers Ziel hinaus schieße, etwa mit Vorurteilen die Prüfung eröffnet oder ein Mehrergebnis mitbringen muss. Aus meiner Erfahrung in der Aus- und Fortbildung von Prüferinnen und Prüfern kann ich nur sagen, dass die Sachlichkeit in der BP, sprich das nachhaltige Verhandeln in der Sache einerseits und der gute Umgang auf der personellen Schiene andererseits geschult, gefördert und eingefordert werden. Eine Mehrergebnisforderung widerspricht schon per se dem Gesetz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Erstaunlicherweise höre ich auch über die Nichtverwaltungsseite, dass dort auf die Karten Zeit und mangelnde Mitwirkung gesetzt wird. Nach vorne blickend muss das Prüfen auf Augenhöhe eine Selbstverständlichkeit sein. Das gilt für beide Seiten. Sowohl für die Seite der Verwaltung als auch für die der Wirtschaft (Steuerberatung und Steuerbürger). Das optimale Bild stelle ich mir in Form einer Betriebsprüfungs-Matrix vor. Diese besteht aus vier Komponenten: Gute (realistische) Ziele, Konfliktgespräche, Wortwahl und Schlagfertigkeit. Verwendet man diese vier Stellschrauben in einem Gespräch oder einer Situation wird das Klima immer positiv verlaufen, es sein denn, man gerät an einen Choleriker. Dann ist jede Gesprächsminute eine Minute zu viel (s. ausführlich Fischer/Danielmeyer, Die Steuerwarte 1/2 2021, Die Betriebsprüfungs-Matrix – Das kleine 1 x 1 der gepflegten Kommunikation, S. 10 – 12).

Effektivität und Rechtssicherheit 

Rahmengebung

Ein großer Block des Forderungskatalogs der BStBK besteht aus formellen Verbesserungen:

  • Optimierung der verbindlichen Zusage gem. § 204 AO
  • Verpflichtende Mitwirkung des Steuerpflichtigen 
  • Punktuelle Bestandskraft

Diese Punkte finden sich im Groben in den Regelungen des freiwilligen Projekts ICAP (International Compliance Assurance Programme) 2.0 wieder. Was steckt hinter diesem Projekt?

Ziel:

Durch die freiwillige Teilnahme an der Pilotierung erhoffen sich die Betriebe mit multinationalen Geschäftsbeziehungen eine höhere Rechts- und Planungssicherheit, sowie während einer Außenprüfung eine Personal- und Zeitersparnis, da wichtige Eckpunkte bereits im Vorfeld der Prüfung deklariert werden (Stichwort: multilaterale und kooperative steuerliche Risikobeurteilung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (MNEs), insbesondere im Bereich der Verrechnungspreise/ Betriebsstätten).

Das ICAP 2.0 steht für (s. ausführlich Kowalik/Eismayr ICAP 2.0 – Mehr globale Rechtssicherheit für Ertragsteuern):

Konkret:

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat das Projekt für mehr Rechtssicherheit in der Besteuerung im Jahr 2018 ins Leben gerufen. In einer ersten Pilotierungsphase war Deutschland nur Beobachter, in der zweiten Phase ist Deutschland mit 18 weiteren Ländern ab 2019 aktives Testland geworden. Das ICAP-Programm betrifft Steuerpflichtige, die länderbezogene Berichte multinationaler Unternehmensgruppen nach § 138a AO dem Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln haben. Die Anwendungsbereiche umfassen ab dem ICAP die Themen Verrechnungspreise, Betriebsstätten und weitere grenzüberschreitende ertragsteuerliche Sachverhalte (Quellensteuern, hybride Gesellschaftsstrukturen, DBA-Anwendungen)

Nutzen:

Beteiligte Unternehmen sehen in dem ICAP 2.0 das Potenzial, durch die Vorprüfung von Sachverhalten bei der späteren Endprüfung Ressourcen einzusparen, schneller Rechtsicherheit und dadurch Planungssicherheit zu erlangen. Aus diesem Verfahren könnte sich ein globaler Vorprüfungsstandard für Ertragsteuern durchsetzen. 

Inhalt:

  • Phase I (Pre-Entry): Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass der Steuerpflichtige High-Level Informationen (mittels Templates) zur Verfügung stellt
  • Phase II (High-Level): Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass die involvierten Finanzverwaltungen ein Standard Scoping Documentation Package nutzen, um über die Themen und Steuerrisiken final zu entscheiden
  • Phase III (Risk Assessment): Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass anhand der Informationspakete Steuerrisiko und Themen bewertet werden. Hierbei ist es notwendig, dass das Unternehmen allen beteiligten Finanzverwaltungen die Steuerstrategie vorstellt. Der Datenaustausch erfolgt dabei über internetbasierte Austauschplattformen
  • Phase IV (Outcome): Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass das Ergebnis des Risk Assessments dem Steuerpflichtgen schriftlich mitgeteilt wird. Hierbei beteiligt sich jede involvierte Finanzverwaltung

Die Mitwirkung bei Sachverhalten des In- und Auslands war ohnehin schon eine Pflicht der Steuerpflichtigen. Ggf. könnte hier eine Motivation für den Steuerpflichtigen verankert werden. Liedgens äußert sich hierzu kritisch und fordernd zugleich in seinem Blogbeitrag vom 12.03.2021.

Die weiteren formellen Punkte des Forderungskatalogs wie:

  • Prüfungszeiträume sind näher an das aktuelle Wirtschaftsjahr zu führen 
  • Verkürzung von Festsetzungs- und Aufbewahrungsfristen und der Ablaufhemmung 
  • Höchstdauer für Betriebsprüfungen 

können m.E. erst wirksam umgesetzt werden, wenn die obigen Deklarations- und Gestaltungsmöglichkeiten auch für inländische steuerlich relevante Sachverhalte- über digitale Portale ermöglicht werden (s. Danielmeyer Blogbeitrag vom 18.10.2021) und alle Beteiligten Zugriff, Up- and Download, und automatisierte Ergebnisse des Risk Assessments sowohl für Kleinstbetriebe als auch für Konzerne gewährleistet werden können. 

Erforderliche Schritte 

Um eine zeitnahe Durchführung von Betriebsprüfungen mit verkürzten Fristen zu erreichen, sind einige Schritte vorab notwendig. Hierzu gehören:

  • Einrichtung einer Data Governance in der Betriebsverwaltung (s. ausführlich Liekenbrock/Danielmeyer, Rethinking Tax 2/2021, S. 32 – 39)
  • Sorgfältigkeitsvoraussetzungen für die Stammdatenpflege (s. Liekenbrock Blogbeitrag vom 19.03.2021)
  • Verfahrensdokumentation betriebliche IT-Prozesse (s. ausführlich Danielmeyer/Neubert/Unger, AO-StB 2019, S. 125 – 127)
  • Interne Kontrollmechanismen für die obigen Prozesse
  • Tax Compliance
  • Übertragungsportale für die elektronische Sachverhaltsbeschreibung und Datenflüsse (s.o.)
  • Funktionale Schnittstellen (s. Liedgens Blogbeitrag vom 05.10.2020)

Inhaltliche Anforderungen:

  • Anpassungen sollen zu einer Win-win-Situation führen
  • Etwaiger Missbrauch muss von vornherein ausgeschlossen werden
  • Erläuterungspflicht von Prüfungsergebnissen, insbesondere IT-Gestützter, statistisch-mathematischer Prüfverfahren

Eine Win-win-Situation liegt immer dann vor, wenn beide Seiten einen Nutzen haben. So könnte eine akzeptierte funktionale Gesetzesänderung, die auch technisch und kostenarm umsetzbar ist, beim Steuerbürger Akzeptanz erlangen (s. Danielmeyer Blogbeitrag vom 15.02.2021). Typisches Beispiel – und somit sind wir auch schon im Bereich der Missbrauchsverhinderung – ist das Gesetz zum Schutz vor Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen (BGBl.I 2016, 3152). Dieses sieht durch Nutzung von Blockchain-Technologie eine nichtmanipulierbare Absicherung der Geschäftsvorfälle vor (s. ausführlich Danielmeyer, beck.digitax 2.2021, im Erscheinen). Das Problem in der Praxis ergibt sich jedoch aus zwei Vorgängen: erstens die offene Ladenkasse, die trotz grundsätzlicher Einzelaufzeichnung, viel Gestaltungsmöglichkeiten offenlässt, und zweitens die Nicht- bzw. Falscherfassung mit einem elektronischen Aufzeichnungssystem mit TSE. Dieses wird zwar im Rahmen einer Kassen-Nachschau oder Betriebsprüfung auffallen, führt aber nicht zu einer zeitnahen Angleichung von Prüfungszeiträumen an die jeweiligen Wirtschaftsjahre. Hier kann nur eine Registrierkassenpflicht mit Datenübermittlung in Echtzeit die Lösung bedeuten, um auch in bargeldintensiven Branchen eine Aktualität in die Außenprüfung zu implementieren (s. ausführlich DanielmeyerBlogbeitrag vom 25.02.2021).

Datenlage

Die Forderung zur Erläuterung von Prüfungsergebnissen und von Prüfverfahren, insbesondere bei der Verwendung von statistischen oder mathematischen Methoden finde ich gut. Nur muss insgesamt schon eine Stufe vorher angesetzt werden. Häufig bauen Sachverhalte, rechtliche Würdigungen und Einigungen auf einer heterogenen Datenbasis auf. Hier ist die Prüfung der Datenlage elementar. Und zwar nicht nur durch die Finanzverwaltung. Auch durch den Steuerpflichtigen und die Steuerberatung müssen regelmäßig Datenstichproben gezogen werden, um deren Werthaltigkeit und Qualität vorab zu beurteilen. In den letzten (fast) 20 Jahren hat häufig erst die Betriebsprüfung Datenlücken oder Löcher in den steuerlich relevanten Daten festgestellt. Eine Anomalieerkennung für die Vergangenheit ist oft aber nicht möglich. Entweder existieren keine Sicherungsdaten, Alt-Datenverarbeitungssysteme sind entsorgt oder sie genügen nicht den gesetzlichen Vorgaben zum Datenzugriff, etc. 

Gibt es dann doch eine seriöse Datenbasis und können die Sachverhalte ermittelt werden, sollten die Auffälligkeiten verständlich auf Augenhöhe besprochen oder mitgeteilt werden. Die hierbei verwendete Methodik spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. 

Analoges vs. digitales Daumenkino

Beispiel aus der analogen Welt. Als Prüfer habe ich auch schon mal „Daumenkino“ gespielt und einen Papierbeleg aus dem Ordner gezogen, der zu einer Prüfungsfeststellung geführt hat. Es hat niemanden interessiert, wie ich auf diesen Beleg gekommen bin. Interessiert es dann jemanden, wie ich in der digitalen Welt über den Datensatz zum Sachverhalt mit Prüfungsfeststellung gekommen bin?

Verständlich ist allerdings die Forderung, wenn Datenfilter eingesetzt oder mathematische Erwartungen wie Benford`s Law eine Rolle für die Beurteilung der erklärten Daten spielen, dass diese dann auch entsprechend kommuniziert werden. Denn wenn es bspw. betriebliche Besonderheiten gibt, die zu einer Andersverteilung oder zu einem anderen Zahlenauftreten führen, gilt es diese natürlich seitens Steuerberatung oder Steuerpflichtigen vorzubringen.

Fazit

Ideen zur Modernisierung bestehender Prozesse sind wichtig. Der Weg muss allerdings umsetzbar sein. Bevor der Weg beschritten wird, sollte für alle Beteiligten das Ziel abgesteckt werden. Sehen wirklich alle Beteiligten die Notwendigkeit einer Veränderung und wenn ja, kann es nur funktionieren, wenn eine große gemeinsame Lösung gefunden wird. Nur an einer Stellschraube drehen wird nicht reichen. Und was passiert in der Zwischenzeit? 

Links 

ICAP 2.0  Folge 4 des Tax Quartetts https://dastaxquartett.podigee.io/4-international-compliance-assurance-programme-icap

Bundessteuerberaterkammer Report März 2021 https://www.bstbk.de/downloads/bstbk/presse-und-kommunikation/publikationen/bstbk-report/BStBK_Pub_BStBK-Report_202103.pdf